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DIE STIMMEN DER VERSCHWUNDENEN

Veröffentlicht von der Defensoría del Pueblo von Peru Mai 2001

Inhalt:


Nr. 1
"...Was für ein hartes Los hatten wir. Warum haben sie uns meinen Vater auf diese Art weggenommen? Wenn er gestorben wäre, hätten wir wenigstens zu seinem Grab gehen können ... Bis wann werden wir noch leiden müssen ..."


Der Ehemann der Befragten, ein 41-jähriger Agraringenieur, wurde am 1. Oktober 1990 vermutlich vom Nachrichtendienst der Armee in Ayacucho auf der Straße festgenommen. Obwohl es Zeugen der Verhaftung gab, bestritten die Militärs die Verhaftung. Seine Frau wurde von Mitgliedern des Nachrichtendienstes bedroht und sah sich gezwungen, sich versteckt zu halten und zeitweilig nach Lima zu flüchten. (Bericht lesen)



Nr. 2
"...Wenn ich wenigstens wüsste, ob er lebt oder tot ist. Das ist es, was wir wollen. Nur das wollen wir. Ich werde ihn suchen, bis ich sterbe, zusammen mit meinen Kindern. Sie helfen mir bei der Suche nach ihm..."


Der Sohn der Befragten, ein 28-jähriger Student der Agrarwissenschaft, wurde 1983 in Ayacucho von Angehörigen der Armee zu Hause verhaftet. Die Verhaftung wurde von der Armee bestritten. 5 Monate später kam erneut eine Gruppe von Soldaten, um den Bruder des Verschwundenen mitzunehmen. Da sie ihn nicht antraf, durchsuchten sie das Haus und nahmen alle Wertgegenstände mit.


Nr. 3
"Ich würde gern wissen, wo er ist, dass man mir sagt: Ist er am Leben? Wo wird er gefangen gehalten? Wenn er in Haft wäre, würde ich hingehen, und wenn er tot ist, sollen sie es mir sagen, und ich würde mich damit abfinden. So wie es jetzt ist, denke ich Tag und Nacht, er wird schon kommen, er wird bald hier sein, er ist bestimmt schon frei. Es ist ein Elend, gnädiger Gott, ich flehe nur zu ihm, und ich glaube, dass er mir Mut und Kraft gegeben hat, für meine Kinder zu sorgen Tag für Tag bete ich zu ihm, nur für meine Kinder bete ich zu ihm. Wenn er in Haft wäre, würde ich ihn besuchen und würde mich damit abfinden und meine Kinder würden sich auch damit abfinden."


Der Ehemann der Befragten war Koch und reisender Händler aus Ayacucho. Er wurde am 18. Juli 1990 vermutlich von der PIP (Zivilpolizei) bei einer Razzia in Huanta festgenommen und wahrscheinlich später den Militärs übergeben. (Bericht lesen)


Nr. 4
" ... es gab Momente, in denen ich laut weinen musste, wenn ich an ihn dachte, doch nach und nach, im Lauf der Jahre, konnten wir allmählich vergessen, doch wir können nie vollständig vergessen. So ist es. ... "


Ein Vater berichtet vom Verschwinden seines Sohnes, eines 19-jährigen Schülers, der am 12. März 1984 wahrscheinlich von Mitgliedern der "Sinchis", einer Spezialeinheit der Guardia Civil, die in Zivil auftraten aus seiner Schule herausgeholt wurde und nie wieder auftauchte. (Bericht lesen)


Nr. 5
"... ich bin bis heute wie verrückt ... denn wo er geschlafen hat, ist ein leerer Platz, wo er gegessen hat, ist ein leerer Platz, sein Essen - ein leerer Teller, wonach es verlangt, worum er bittet, es fehlt. ... ich bin fast verrückt geworden ... seit damals bin ich kein Mensch mehr ...".


Eine inzwischen 71 jährige Mutter aus Ayacucho erzählt von dem Verschwinden ihres Sohnes, der am 2. Juli 1984 im Morgengrauen von einer kombinierten Truppe der Armee und Mitgliedern der verschiedenen Abteilungen der Polizei zu Hause aus dem Bett geholt und verhaftet wurde. Das letzte Lebenszeichen von ihm war ein Zettel, den er von einem freigelassenen Mitgefangenen seiner Mutter zukommen ließ, und aus dem hervorgeht, dass er in der Kaserne Los Cabitos in Ayacucho gefangen gehalten wurde und gefoltert wurde. (Bericht lesen)


Nr. 6
"… als die "Sinchis" hereinkamen, bekam ich Angst, ich begann zu zittern, ich konnte nicht sprechen, kein Wort. Seitdem habe ich Probleme mit den Nerven." "Seitdem sind wir immer traurig gewesen. So sind wir aufgewachsen, wir weinten viel und litten. Was sollten wir tun? Und sie taucht nicht auf, sie taucht nicht auf. Durch das viele Grübeln wurde ganz wirr im Kopf."


Bericht einer jetzt 39-jährigen Frau aus Ayacucho, deren Mutter 1983 bei einer nächtlichen Razzia von einer Truppe "Sinchis" (Spezialeinheit der "Guardia Civil") in Zivil mitgenommen wurde und danach wahrscheinlich der Armee übergeben wurde. Gleichzeitig verschwand die Schwester der Mutter und später zwei Brüder.


Nr. 7
"Sogar meine Tochter sagte: 'Ich werde ihn auch so lange suchen, bis wir wissen, wo er ist, wo die Reste meines Vaters sind. Solange werden wir ihn suchen. Wenn ich groß bin, werde ich ihn weiter suchen".


Der Ehemann der Befragten, ein damals 28-jähriger Schlosser aus Ayacucho, wurde am 1. Dezember 1982 von einer kombinierten Truppe aus Polizei und Armee zu Hause verhaftet und tauchte nie wieder auftauchte. Es gibt Hinweise, dass er zu Tode gefoltert wurde. Schilderung der Suche auf dem Land, bei der sie zusammen mit anderen Frauen bestialisch gefolterte und verstümmelte Leichen fand. (Bericht lesen)


Nr. 8
"Ich bin 75 Jahre alt. ... Seit meine Söhne verschwanden, kümmere ich mich um meine Enkel. Jeder meiner Söhne hatte vier Kinder. Insgesamt sind es 8 Kinder, um die mich seit damals bis heute gekümmert habe ... Sie hatten keine Mutter mehr, und habe sie großgezogen, indem ich auf dem Land gearbeitet habe."


Bericht eines Vaters, dessen Söhne am 1. Januar 1989 im Dorf Seccsa im Distrikt Pampacangallo im Departement Ayacucho von einer Patrouille der Armee festgenommen wurden, und später vermutlich zum Militärstützpunkt Carmen Alto gebracht wurden.


Nr. 9
"... ich habe fast ein Jahr an verschiedenen Orten gesucht. Und jetzt? Bis heute weigern wir uns zu vergessen. Denn wir müssen bis zum letzten kämpfen. Wenn wir sterben, machen unsere Kinder weiter, und dann werden deren Kinder, meine Enkel weitermachen. Wir werden unsere Erfahrungen, das, was wir erlitten haben, was wir durchgemacht haben, weitergeben. Wir müssen bis zum letzten kämpfen ..."


Erzählung einer Ehefrau, deren Mann am 18. Mai 1986 im Morgengrauen im Haus seiner Eltern von einer Patrouille der Armee verhaftet wurde. Schilderung der Suche mit anderen Frauen in Polizeidienststellen und Kasernen, wo ihnen jede Auskunft verweigert wurde und man sie bedrohte, sowie die Suche an bekannten Stellen auf dem Land, wo die Armee sich der Leichen entledigte. (Bericht lesen)


Nr. 10
"... wenn er in Haft wäre, könnte ich ihn sehen, eine Weile mit ihm reden. (...) Es ist eine Schande. Sie behandeln sie wie Tiere, und auch ein Tier hat einen Besitzer. Und wie haben sie sie einfach verschwinden lassen! Nichts, nichts, wollen sie uns sagen, was passiert ist, was sie mit ihnen gemacht haben. Haben sie sie irgendwohin geworfen, haben sie sie vergraben, haben sie sie irgendwo liegengelassen oder ist er in Haft und ohne Kontakt? Nichts, nichts weiß ich! (...) Manchmal denke ich, er ist am Leben, dass sie ihn irgendwo freigelassen haben. Ich weiß nicht. Sie sollten uns eine Erklärung geben."


Schilderung einer Frau, deren Mann, ein Lehrer aus Cangallo, am 1. Juli 1983 von einer Truppe von "Sinchis" nachts aus dem Bett geholt wurde. Später wurde er im Hauptquartier der Polizei gesehen, bevor er verschwand. (Bericht lesen)


Nr. 11
"... wir haben unsere Eltern nicht gefunden. Mutterliebe, Vaterliebe haben wir nicht gefunden, bis heute ..."


Bericht von zwei Geschwistern, deren Eltern und älterer Bruder in der Nacht vom 18. Juli 1985 in Alpachaca, Ayacucho, von der Armee verhaftet wurden und verschwanden. Die Kinder wuchsen unter schwierigen Verhältnissen bei verschiedenen Verwandten auf. (Bericht lesen)


Nr. 12
"Erst wenn ich sterbe, werde ich meinen Sohn vergessen (...)Wie soll ich vergessen, wie? … Wenn ich ihn beerdigen könnte, dann vielleicht. Ich könnte ihm Blumen bringen oder eine Kerze. Dann könnte ich sicher vergessen. Doch solange ich seine Reste nicht bekomme, denke ich: 'Sicherlich ist er hier in der Kaserne gefangen, sicher hat er nichts zu essen, sicher hat er kein Bett und schläft in irgendeinem Winke und leidet jede Nacht.' So geht es mir, diese Gedanken kommen mir, das denke ich."


Der Sohn der Befragten wurde am 6. April 1990 von einer Militärpatrouille in dem Ort Magdalena/ Ayacucho im Laden seiner Patentante, wo er arbeitete, festgenommen. Die Mutter schildert, wie die Offiziere in der Kaserne die Festnahme abstritten, sie von Zeugen erfuhr, dass ihr Sohn schwer gefoltert wurde, sie sich allein und zusammen mit anderen Frauen in den Bergen auf die Suche nach seiner Leiche machte und vom Nachrichtendienst der Armee bedroht wurde.


Nr. 13
"...Meine Enkelin fragte: ?Wo ist mein Papa?' Und wir haben es ihr erzählt. Sie wurde sehr traurig, sehr traurig ist sie. Sie war drei Monate alt, als sie ihren Vater abholten…"


Bericht eines Vaters aus Ayacucho über das Verschwinden seiner beiden Söhne, damals 22 und 24 Jahre alt, die bei einer Razzia von Haus zu Haus durch eine Militärpatouille festgenommen wurden. Bei Nachfragen in der Kaserne wurde ihm mitgeteilt, sie seien nach 10 Tagen wieder freigelassen worden. Freigelassene Mitgefangene berichteten, dass sie vermutlich nach Oxapampa geschafft worden sind.


Nr. 14
"...Alle die verschwunden sind, haben wir gesucht. Da sind Leichen, dort ist noch eine Leiche. Sie haben wir auch gesucht, ausgegraben, doch wir fanden nur fremde Personen ..."


Eine Frau aus Ayacucho erzählt über das Verschwinden ihres Mannes, der seinen Lebensunterhalt mit dem Ankauf und Verkauf von Vieh verdiente. Er wurde laut Zeugen am 17. Juli 1984 von einem Polizisten der Guardia Republicana auf der Straße angesprochen und offenbar zum Militärstützpunkt Aguadicusi in Quicapata/ Carmen Alto gebracht.


Nr. 15
"Wenn mein Bruder noch da wäre, würde es uns nicht so schlecht gehen. Uns geht es sehr schlecht. Wir haben noch nicht einmal zu essen (…) Er sorgte dafür, dass es uns an nichts fehlt. Er tat sich noch nicht einmal mit Freunden zusammen. (…) Manchmal habe ich keine Kraft mehr. Manchmal fühle ich meinen Körper, wenn ich wasche oder in der Gemeinschaftsküche koche, damit meine Kinder etwas zu essen haben. Manchmal haben wir nichts zu essen und wir leben nur von Wasser."


Bericht der Mutter und einer Schwester von zwei jungen Männern aus der Provinz Huamanga in Ayacucho, die 1990 bei einer nächtlichen Razzia der Polizei zu Hause festgenommen wurden. Einer wurde später in einer entlegenen Ortschaft freigelassen, nachdem er zusammen mit seinem Bruder und anderen Festgenommenen über mehrere Stationen zum Militärstützpunkt Carmen Alto gebracht worden war. Der andere, von Beruf Schneider und Haupternährer der Familie, blieb verschwunden.


Nr. 16
"...Ich suche immer noch. Deshalb bin ich hergekommen. Die anderen sagen: ?Für nichts gehen wir hin. Wir sollten es lassen wie es ist. Sie kommen nicht mehr zurück. Es ist umsonst und kostet nur Geld.' Wenn ich ihn beerdigt hätte, würde ich es sein lassen. Wenn ich ihn tot sehen würde, würde ich es sein lassen. Doch solange ich ihn nicht gesehen habe … vielleicht ist er am Leben ..."


Eine heute 55-jährige Mutter erzählt über die Festnahme zwei ihrer Söhne. Der eine wurde am 8. Oktober 1983 auf offener Straße bei einer Razzia einer Militärpatrouille zusammen mit einer Gruppe anderer junger Männer verhaftet. Der andere wurde fast zur gleichen Zeit bei der Arbeit in der Nähe einer Landstraße festgenommen. Sie wurden drei Tage lang von einem Dort zum anderen gebracht. Die Mutter sah einen ihrer Söhne in der Polizeistation von Chakapunku und später in einer Dienststelle der PIP (Zivilpolizei) in Vinchos, wo sie drei Monate lang gefangen gehalten wurden. Seitdem sind beide verschwunden.


Nr. 17
"Wir haben überall Anzeige erstattet, bei der Staatsanwaltschaft, bei der Polizei. Wo waren wir nicht überall! Doch wir haben seine Leiche nicht gefunden. Wir haben Leichen von anderen Leuten gefunden, doch die von meinem Sohn haben wir nicht gefunden (…)".


Eine 56-jährige Frau aus dem Dorf Santa Elena in der Provinz Huamanga in Ayacucho berichtet über das Verschwinden ihres damals 18-jährigen Sohnes, der um 4 Uhr morgens von einer Militärpatrouille aus dem Bett geholt und in die Kaserne von Los Cabitos in Ayacucho gebracht wurde, wo er laut Zeugen gefangen gehalten und gefoltert wurde. Danach tauchte er nie wieder auf.


Nr. 18
"Sie waren nicht krank oder blind, als sie sie mitgenommen haben. Wenn sie tot sind, sollte man es uns sagen. ... Wir sind mehrere Male nach Lima gefahren, umsonst. Wieso tut man uns armen und unwissenden Menschen das an! Weil wir nicht lesen können, gehen sie so mit uns um ..."


Bericht einer Frau, deren damals 25-jähriger Sohn 1984 bei einer Militärrazzia in einem Park festgenommen wurde und nie wieder auftauchte. Die Mutter schildert, wie sie zusammen mit anderen Frauen die Suche auf dem Land organisierten und im Lauf der Zeit eine große Zahl von verstümmelten und unkenntlich gemachten Leichen fanden.


Nr. 19
"...mein Sohn beklagt sich und sagt: ?Wenn mein Papa am Leben wäre, ginge es uns nicht so schlecht. Mit seiner Arbeit hätte er mir etwas zum Anziehen gekauft, mit seiner Arbeit hätte er dafür gesorgt, dass ich zur Schule gehen kann.' So redet mein Sohn und beklagt sich ...".


Eine 36-jährige Frau schildert, wie ihr Mann am 28. Juli 1985 von einer Militärpatrouille aus der Kaserne Los Cabitos in Ayacucho verhaftet wurde und verschwand.


Nr. 20
"(…) Darum bin ich gekommen. Um zu erfahren, ob er tot ist oder lebt. Ich kann ihn nicht vergessen. (…) Er ist in meinem Herzen. Ich kann ihn nicht vergessen. Meine Familie sagt, ich soll ihn vergessen, doch ich kann nicht. ?Vergiss ihn', sagen sie, doch ich kann nicht. Ich habe meinen Sohn sehr geliebt. (…)".

Eine heute 80-jährige Frau aus der Provinz Huamanga in Ayacucho berichtet über das Verschwinden ihres Sohnes, der von einer Militärpatrouille bei einer nächtlichen Razzia von Haus zu Haus festenommen wurde und nie wieder auftauchte.



Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 9 ff. (1. Korrektur)


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