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Bericht aus "Die Stimmen der Verschwundenen".

Veröffentlichung der "Defensoría del Pueblo" von Peru.


Einführung

Seit die Defensoría del Pueblo ihre Aktivitäten aufgenommen hat, war eines ihrer zentralen Anliegen die Bemühung um Frieden und nationale Versöhnung, die den Peruanern und Peruanerinnen die Möglichkeit eröffnet, ihre Lebenspläne ohne die Bedrohung und die Beeinträchtigungen eines Krieges zu entwickeln, und damit verbunden das Hinwirken auf die umfassende Wiederherstellung des Rechtes auf Wahrheit und Gerechtigkeit.

Dieses Anliegen kam bei der Erarbeitung des Berichts der Defensoría über "Das zwangsweise Verschwinden von Personen in Peru 1980-bis 1996" zum Tragen. Die Ergebnisse sollten ein erster Schritt zur Erfüllung der Forderungen der Angehörigen der Opfer sein, indem sie als wichtiges Instrument zur Aufklärung der schweren Menschenrechtsverletzungen der letzten zwei Jahrzehnte dienten, um danach zu einer umfassenden Wiedergutmachung an den Opfern überzugehen. In diesem Prozess lernten wir die Opfer der politischen Gewalt kennen und hörten ihre Forderungen an den Staat:

"Wir verlangen, dass man uns hilft, die Verschwundenen zu finden, dass diese Regierung uns unterstützt, dass sie uns anerkennt."

Tatsache ist, dass ein Versöhnungsprozess in Peru vom Staat und der Gesellschaft verlangen, die Bürger und Bürgerinnen zu kennen und anzuhören, die über einen Zeitraum, der nun schon zwanzig Jahre andauert, nicht die Antwort erhalten haben, die sie aufgrund der Tiefe ihres Leids und des Respekts ihrer Menschenwürde verdienen. Nachdem wir eine direkte Beziehung zu den Personen hergestellt hatten, die die Gewalt in einer ihrer schrecklichsten Ausdrucksformen erlitten hatten, konnten wir nicht anders, als ihre Vision der Ereignisse weiterzugeben und die Gesellschaft zur Wiederherstellung ihrer Rechte zu verpflichten.

"Wir werden unsere Erfahrungen, das, was wir erlitten haben, was wir durchgemacht haben, weitergeben. Wir werden bis zum letzten kämpfen."

Die Schilderungen, die wir für diese Veröffentlichung zusammengetragen haben, enthüllen das Ausmaß des menschlichen Schmerzes, den die Angehörigen der Verschwundenen in sich tragen, und die Spuren, die der Verlust und die unfassbare Leere aufgrund fehlender Antworten in jeder betroffenen Familie hinterlassen hat. Jedes Einzelschicksal zeigt den unablässigen Kampf ihrer Suche, doch leider auch die Taubheit eines Staates, der bis heute seiner Aufgabe, den Verletzungen der Grundrechte vorzubeugen, sie zu untersuchen, zu bestrafen und wieder gutzumachen, nicht nachgekommen ist. Auf diese Art zeigen die Erzählungen, wie der Kampf gegen die Gewalt sich in der Regel auf dem Rücken der Bedürfnisse einer Bevölkerung abspielte, die, weil sie arm und vernachlässigt ist, doppelt von der Gewalt und den Auswirkungen des Krieges betroffen war. Sie schildern in ihrer eigenen Sprache und mit ihrer speziellen Sensibilität die Auswirkungen, die aus ihrer Erfahrung die Anwendung von Mechanismen hatte, die in der Praxis ihr Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, einen ordentlichen Prozess, ein gerechtes Verfahren und später auf die Wahrheit missachteten:

"Wir beide suchten, ich und meine Mutter (...) wir haben überall in den Bergen gesucht, wir sind zur PIP, zur Kaserne, doch niemand gab uns Auskunft, ob er dort war. Wir legten dem Staatsanwalt Papiere vor, doch er sagte uns nichts."

Der Zweck dieser Veröffentlichung ist, dazu beizutragen, die Realität der Tausenden von Familien sichtbar zumachen, die ihre nächsten Angehörigen im Zusammenhang mit einem Krieg verloren haben, in dem sie nichts weiter als Opfer waren. Sie soll den Stimmen derjenigen, die Auskunft darüber verlangen, wo ihre verschwundenen Angehörigen sind und was mit ihnen geschehen ist, Resonanz geben und die Gesellschaft und den Staat für das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit sensibilisieren, deren Umsetzung einen unumkehrbaren Weg in Richtung auf eine Kultur des Respekts der Menschenrechte in unserem Land eröffnen wird.

Die Defensoría del Pueblo möchte im Zuge der Einrichtung einer Wahrheitskommission und eines Prozesses des Übergangs zur Demokratie einen Beitrag leisten zur Anerkennung der Rechte der Opfer des zwangsweisen Verschwindens: die Verschwundenen und ihre Angehörigen, die heute weiterhin in einer Situation der Ungerechtigkeit, der Ungewissheit und der Vernachlässigung leben. Nur in dem Maße, in dem wir aus ihrem eigenen Mund die Ereignisse erfahren, die so viele Personen verletzt haben, können wir uns mit ihnen solidarisieren und Bewusstsein entwickeln über die Tragweite einer Aufgabe, wie die, die über die erwähnte Kommission in Angriff genommen werden soll. Eine Wahrheitskommission wird die Einhaltung einer Reihe von Rechten garantieren, die trotz der unaufhörlichen Anklagen der Opfer und dem berechtigten Wunsch eines Volkes, das auf der Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ist, in den letzten zwei Jahrzehnten außer Kraft gesetzt wurden.

"Wenn wir es wüssten, würden wir uns damit abfinden. Heute wissen wir nichts (...) doch wir können ihn nicht vergessen. Erst wenn ich sterbe, werde ich ihn vergessen." "Darum wollen wir jetzt Gerechtigkeit. Wir fordern von der Regierung, dass sie die Schuldigen vor Gericht stellt, nicht sie selbst, nur die Täter, dass die Regierung ihrer Aufgabe nachkommt, sie zu bestrafen."

Die Erfüllung dieser Rechte würde für die Opfer beinhalten, dass ihnen der Platz zurückgegeben wird, den sie als Bürger im sozialen Leben hatten und der ihnen zukommt. Für die Angehörigen würde es bedeuten, dass ihnen der Staat eine Antwort auf ihre Fragen über das Schicksal ihrer Angehörigen gibt, er ihnen aufgrund ihrer Erfahrungen Anerkennung und Respekt zollt, sich öffentlich für das Geschehene entschuldigt und eine daraus folgende Wiedergutmachungspolitik von integralen Charakter einleitet. Alle diese Dimensionen sind zentrale Elemente für die Wiederherstellung der Würde der Betroffenen und durch sie die der ganzen Gesellschaft.

Auf der anderen Seite ist der Zweck dieser Veröffentlichung ebenfalls, die persönliche und psychologische Dimension des Problems hervorzuheben, um auf diese Art auch die Bedürfnisse der Seele zu erfüllen, indem wir uns in das Zentrum des subjektiven Erlebens jener Zeit der Gewalt aus der Sicht jedes einzelnen Opfers begeben. Wir sind davon überzeugt, dass die Verteidigung der Grundrechte beinhaltet, dem Menschen als ein Subjekt mit dem Recht auf allseitige Entwicklung zu begreifen, dessen volle Selbstverwirklichung zur Herausbildung einer gesunden und demokratischen Gesellschaft beiträgt. Auf der anderen Seite möchten wir hervorheben, dass das Zusammentragen dieser Ergebnisberichte nicht möglich gewesen wäre ohne die wertvolle Hilfe der Nationalen Assoziation von Angehörigen der Entführungsopfer, Verhafteten und Verschwundenen in den Gebieten im Ausnahmezustand in Peru - ANFASEP. Ihr gilt unser Dank und insbesondere jedem einzelnen der befragten Angehörigen, die uns durch ihre Schilderung erlaubten, in das Innere ihres latenten Schmerzes vorzudringen und zu Zeugen der tiefgehenden Auswirkungen zu werden, die das Verschwinden ihrer nächsten Verwandten hatte. Die Erklärungen wurden im Juli 2000 in Huamanga - Ayacucho und in Lima von Mitgliedern des Beirats für Menschenrechte und Behinderte eingeholt.

Die Erzählungen von Personen, deren Muttersprache Quechua ist, sind in einer offiziellen Übersetzung ins Spanische übertragen worden. So weit es möglich war, wurde versucht, die Schilderungen wortgetreu wiederzugeben. In einigen Fällen wurden jedoch einige kleinere Veränderungen vorgenommen, um die Aussagen klarer zu machen und die Lektüre zu erleichtern.

Zum Schluss dieser kurzen Einführung möchten wir der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass diese kollektive Anstrengung einen Beitrag leistet zu einer Reflexion der verschiedenen Sektoren der Gesellschaft über die Notwendigkeit, die jüngste Vergangenheit und die Tausenden von betroffenen Familien, die für die Wiederherstellung ihrer Fähigkeit zu leben und eine Zukunft aufzubauen kämpfen, nicht zu vergessen. Zugleich möchten wir einen Beitrag leisten zu den Aktionen und Verpflichtungen des Staates bei der Erfüllung der Rechte auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, die den Opfern der Gewalt in unserem Land zusteht. Und schließlich bewegt uns die Möglichkeit, der Gesellschaft im allgemeinen zu dienen, damit sie die Wahrheit kennt, insbesondere die, die sich nicht wiederholen sollte, und diese bei dem notwendigen Prozess der Versöhnung und des Wiederaufbaus der Demokratie in Peru in Betracht gezogen wird.

Lima, Mai 2001

Walter Albán Peralta

Amtierender Defensor del Pueblo (Ombudsmann von Peru)



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Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 9 ff. (1. Korrektur)


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