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Bericht aus "Die Stimmen der Verschwundenen".

Veröffentlichung der "Defensoría del Pueblo" von Peru.


"... wenn er in Haft wäre, könnte ich ihn sehen, eine Weile mit ihm reden. (...) Es ist eine Schande. Sie behandeln sie wie Tiere, und auch ein Tier hat einen Besitzer. Und wie haben sie sie einfach verschwinden lassen! Nichts, nichts, wollen sie uns sagen, was passiert ist, was sie mit ihnen gemacht haben. Haben sie sie irgendwohin geworfen, haben sie sie vergraben, haben sie sie irgendwo liegengelassen oder ist er in Haft und ohne Kontakt? Nichts, nichts weiß ich! (...) Manchmal denke ich, er ist am Leben, dass sie ihn irgendwo freigelassen haben. Ich weiß nicht. Sie sollten uns eine Erklärung geben."

L. C. Y.

Ich bin nun seit 18 Jahren auf der Suche. Wir haben 1983 angefangen zu suchen. Am 1. Juli haben sie ihn verschwinden lassen. Seitdem suche ich ihn. Die Suche war schwierig. Wir machten schriftliche Eingaben, und die Militärs nahmen uns die Papiere weg. Wir standen immer unter Beobachtung, während wir suchten. Es war nicht wie heute. Niemand unterstützte uns. Zu der Zeit hatte ich noch sieben Kinder zu versorgen. Mit einem war ich gerade vier Monate schwanger, als er verschwand. Ich ließ sie unter der Obhut meiner Ältesten zurück, die heute 34 Jahre alt ist. Sie passte auf sie auf. Sie war damals 17, und sie blieb mit ihnen zu Hause. Ich ging auf die Suche, doch ich habe ihn nicht gefunden.

Die Militärs haben uns ständig überwacht. Wenn wir Papiere vorlegten, sagten sie: "Wozu bringt ihr das?" Und sie nahmen sie uns weg. Schwierig war es. Sie hielten uns auf der Fahrt hierher an und ließen uns aus dem Bus steigen. Sie durchsuchten uns und alle unsere Sachen. "Vielleicht transportierst du Granaten", sagten sie zu mir. Wenn wir Geld dabei hatten, nahmen sie uns das auch weg. Alles nahmen sie uns weg. So schwierig war es zu jenen Zeiten. Jetzt ist es ruhig. In jenen Tagen hatte ich Angst, aus dem Haus zu gehen. Wenn ich zu Hause blieb, konnte ich nicht schlafen. Ich lag die Nacht über wach. Wenn die Hunde der Nachbarn bellten oder irgendein Geräusch zu hören war, schreckte ich hoch. Ich konnte nicht schlafen, weil ich immer dachte, sie hätten meinen Mann freigelassen.

Umstände der Verhaftung

Sie kamen im Morgengrauen, um 3 Uhr früh des 1. Juli in unser Haus, während wir schliefen. Neben dem Schlafzimmer war ein Schuss zu hören, und ich sagte zu meinem Mann, der schlief: "Hör mal, was ist das?" Ich habe meinen Mann aufgeweckt: " Steh auf und mach Licht an!" In Cangallo gibt es kein elektrisches Licht, sondern nur Kerzen oder Kerosinlampen. Ich stand auf und steckte die Kerze im Schlafzimmer an, und da kamen zwei Militärs herein, während ich noch dabei war, die Kerze anzuzünden. Einer trug Polizeiuniform, der andere die Uniform der "Sinchis". Sie zerrten meinen Mann aus dem Bett. Er stand auf, und sie hörten ihn, wie er war, im Schlafanzug und ohne Schuhe, in den Hof. Mich hielten sie im Schlafzimmer fest und fragten: " Wer gehört zu den Terroristen? Wen kennst du?" " Wo sind die Waffen, wo ist die Munition?" "Lügnerin, du lügst, du weißt es sehr wohl! Du machst mit den Terroristen gemeinsame Sache." Doch er war nicht mit den Terroristen unterwegs. Er lag zu Hause im Bett, und er arbeitete. Er war Lehrer. Zu der Zeit war er 41 Jahre alt.

Mein Mann war im Hof, und von dort rief er mir zu, dass ich ihm seine Hose, seinen Pullover, sein Hemd und seine Schuhe reichen sollte. Doch sie ließen mich nicht nach draußen. Nur von der Tür aus konnte ich ihm die Sachen reichen. "Wir werden ihm die Sachen geben, du machst keinen Schritt vor die Tür! " In dem Moment, als ihn sie abführten, haben sie mir gedroht: "wenn du uns nachgehst oder irgendeine Institution benachrichtigst, werden wir dich umbringen. Wir werden dich umbringen! Du entkommst uns nicht!" Als ich hinsah, zogen sie ihn hoch - er lag auf dem Fußboden - und führten ihn weg, und seitdem weiß ich nichts mehr von ihm. Es waren Soldaten und Sinchis. Als ich ihn suchen ging, fand ich Hinweise, dass sie ihn in die Kaserne von Pampacangallo gebracht hatten. Wir wohnten in Cangallo.

Zeugen der Verhaftung

Als ich zur Polizeistation ging, um ihm sein Frühstück zu bringen, sagten sie zu mir: "Wozu bringst du das? Er war bestimmt ein Terrorist! Seine Genossen haben ihn sicher mitgenommen." Ein anderer sagte mir auch: "Nein, wir waren nicht bei dir zu Hause. Sicher haben sie ihn nach Cangallo oder Ayacucho gebracht, denn wir sind nicht ausgerückt."

Eine Person hat auch gesehen, dass sie ihn um 4:30 Uhr morgens zur Kommandantur gebracht haben. (...) Ein 13-jähriger Cousin von mir war im Inneren des Polizeigebäudes, um Gelatine zu verkaufen, und hat ihn gesehen. Er sagt, dass mein Mann in einem der Büros war. Er hatte ihn bei der Polizei gesehen. Zusammen mit dem Jungen bin ich zurück. Als er sagte, "mein Onkel ist da drin", gaben sie direkt neben ihm einen Schuss ab. "Rede, rede, was du ihn etwa gesehen? Gleich erschieße ich dich!" Und da hat der Junge aus Angst nichts mehr gesagt. Mich haben sie auch mit dem Gewehrschaft geschlagen. Sie sagten: "Warum hast du ihn hergebracht? Warum kommst immer wieder? Ich habe dir bereits gesagt, dass er nicht hier ist, dass wir ihn nicht haben."

Seitdem hat niemand mehr etwas gesagt. Seit dem Tag bis heute habe ich nichts erfahren. Was haben sie wohl mit ihm gemacht? Ich bin auch nach Cangallo, um ihn zu suchen, und als ich nach ihm fragte, sagte man mir, er sei unter Kontaktsperre: "Ja, er ist in Haft, doch er darf mit seiner Familie keinen Kontakt aufnehmen." (...) Wir haben beim Staatsanwalt Anzeige erstattet. Der Richter hat mir nur gesagt: "Wir wissen noch nichts. Es fehlt seine Aussage. Wenn wir seine Aussage aufgenommen haben, sagen wir Bescheid." Seitdem weiß ich nichts mehr über meinen Mann. Ich habe nur Gerüchte gehört, dass er hier oder dort sein soll, dass er bereits in Huancayo sein soll, doch nichts weiter.

Die ständige Ungewissheit

Mein Mann ist vollkommen unschuldig, er hat nichts gemacht. Er war nicht mit den Terroristen unterwegs. Wenn sie ihn bei einer Aktion aufgegriffen hätten oder bei ihm zu Hause etwas gefunden hätten, wäre es etwas anderes. Doch sie haben ihn zu Hause, in seinem Bett, schlafend angetroffen. Wenn die wirklichen Touristen gefangen sind, warum werden Leute wie wir festgenommen? Wenn die Schuldigen im Gefängnis sind, wieso sind die anderen da nicht auch wenigstens im Gefängnis, und sie sehen zu können, um eine Weile mit ihm reden zu können. Was für eine Schande! Sie behandeln sie wie Tiere, doch auch ein Tier hat einen Besitzer. Und weil sie sie haben verschwinden lassen, wollen sie uns nicht sagen, was mit ihnen passiert ist, was sie ihnen getan haben. Haben sie sie irgendwo hingeworfen, haben sie sie vergraben, haben sie sie irgendwo liegengelassen, oder ist er in Haft und ohne Kontakt? Ich weiß nichts. Nicht nur fünfzig- oder sechzigjährige sondern auch Jugendliche von 16,17 Jahren und Frauen sind verschwunden. Was ist mit ihnen passiert? Was haben sie mit ihnen gemacht? Ich weiß nichts. Manchmal denke ich, er ist noch am Leben und sie haben ihn irgendwo freigelassen. Ich weiß nicht. Man sollte uns eine Erklärung geben.

Folgen der Gewalt

Ich hoffe, dass wir Gerechtigkeit erhalten. Jetzt sind meine Kinder schon groß, und die älteren verlangen nach ihrem Vater: "wenn unser Vater bei uns wäre, ginge es uns besser." Manchmal haben wir kein Geld, um die Schule zu bezahlen. Die älteren haben keine Ausbildung erhalten. Sie haben die Sekundärstufe nicht abgeschlossen und haben keine Arbeit. Mein einer Sohn arbeitet nur als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Er konnte nichts lernen, weil der Vater nicht da war. Als Mann hätte er bei vielen Dingen helfen können. Ich bin eine Frau und mache jede Arbeit, die ich finden kann, um die Familie zu ernähren, doch für eine Ausbildung hat es nicht gereicht. So sieht mein Leben aus.

Das Leben, das wir geführt haben, war sehr schwer. Mein Mann wollte nicht, dass ich arbeite, und auch nicht, dass ich nebenbei irgendeine Art von Geschäften mache." Ich werde arbeiten. Du bleibst zu Hause", sagte er immer zu mir. Ich hatte nichts gelernt und konnte nichts machen. Nach fünf Monaten habe ich erreicht, dass mir seine Pension gezahlt wird. Davon leben wir heute. Das ist eine große Hilfe. Wenn wir uns Geld leihen, haben wie ein festes Monatseinkommen, um es zurückzuzahlen. Das ist das einzige, wovon wir leben. Wir haben sonst nichts. Von meinen Kindern sind noch vier in der Ausbildung. Drei studieren an der Universität, doch das Geld reicht nicht. Ich hoffe, dass sie zu Ende studieren können.

Ich bin seit 1983 auf der Suche, schon mehr als 18 Jahre. Wir suchen immer noch weiter. Nicht nur ich, wir waren mehrere, vor allem Frauen. Die Männer hatten Angst, darum kamen mehr Frauen. Die Männer wurden sofort festgenommen. Darum hatten sie mehr Angst, und die Ehemänner kamen nicht, sondern schickten ihre Schwiegermütter oder ihre Schwestern.

Juli 2000



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Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 9 ff. (1. Korrektur)


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