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Bericht aus "Die Stimmen der Verschwundenen".

Veröffentlichung der "Defensoría del Pueblo" von Peru.


"Sogar meine Tochter sagte: 'Ich werde ihn auch so lange suchen, bis wir wissen, wo er ist, wo die Reste meines Vaters sind. Solange werden ihn suchen. Wenn ich groß bin, werde ich ihn weiter suchen".

D. A. H.

Ich bin 36 Jahre alt. Ich bin Witwe. Ich habe einen neuen Partner, doch wir leben noch nicht zusammen. Ich habe zwei Kinder. Die älteste ist 16 Jahre alt, die andere 6. Die 16-jährige ist von meinen Mann. Ich lebe mit meinen Kindern und meiner Mutter. Ich bin bis zum Abschluss der Sekundärstufe zur Schule gegangen. Ich wurde in Vilcashuaman geboren, in Huarcas, einem kleinen Dorf, und bin vor achtzehn Jahren hierher gekommen, um eine Ausbildung zu machen. Zusammen mit meinem älteren Bruder kamen wir nach Huamanga. Hier habe ich geheiratet.

Umstände der Verhaftung

Um 12 Uhr nachts am 1. Dezember drangen sie in unser Haus ein und sagten, er sei ein Terrorist, doch das war nicht wahr. Wenn es so gewesen wäre, hätte er nicht zu Hause in seinem Bett geschlafen. Dann hätte er sich sicher irgendwo versteckt oder wäre mit etwas anderem beschäftigt gewesen. Zu jener Zeit reichte es, dass jemand Feinde hatte und diese behaupteten, der ist ein Terrorist, damit sie ihn verfolgten, ihn beschuldigten und abholten. Er war 28 Jahre alt, ich 18. ... In jener Nacht schliefen wir. Wir wohnten in einem gemieteten Zimmer. Mein Mann war Schlosser. Wir hatten einen Laden, der auch gemietet war. Ich war noch nicht ganz eingeschlafen. Mein Mann schlief, doch plötzlich sagte er zu mir: "Ich glaube, jemand ist im Haus". Ich dachte, daß es Einbrecher wären, doch das war ein Irrtum. Sie haben das Haus gestürmt. Die Tür aus Wellblech haben sie eingetreten. Es war die Polizei.

Als ich am nächsten Tag zum Kommissariat ging, haben sie mir gesagt: "Gestern Nacht sind alle zusammen, die Armee, die Guardia Republicana, der Nachrichtendienst auf Patrouille gegangen." Als sie ins Haus kamen, sagten sie: "Du mußt mitkommen". Sie wollten auch nicht, daß wir das Licht anmachen. Und in dem Moment zerrten sie meinen Mann an den Haaren hoch. Als ich das sah, bin ich in Panik geraten und habe mich an meinen Mann, an seinen Pullover geklammert. Sie wollten ihn so mitnehmen, wie er war, mit dem, was er zum Schlafen anhatte, ohne Schuhe wollten sie ihn mitnehmen. Ich bin aufgestanden. Mein Baby schrie, die Kleine war ganz verzweifelt. "Warum wollt ihr meinen Mann mitnehmen? Er hat nichts getan." "Verdammte Terroristin, sei ruhig! Sonst blasen wir dir gleich das Gehirn aus". "Warum? Was haben wir getan? Das ist unser Zuhause, wo ihr meinen Mann angetroffen habt. Mein Mann arbeitet hier". Doch es nützte nichts. Sie haben ihn nicht gehen lassen. Da sagte mein Mann zu ihnen: "Ich werde mir etwas anziehen. Ihr wollt mich doch nicht etwa barfuß mitnehmen." Und da ich ihn an seinen Kleidern festhielt, hat mein Mann sich schnell seinen Pullover, seine Schuhe und seine Jacke angezogen. Da begannen sie ihn an den Haaren zu zerren, vor meinen Augen auf ihn einzuschlagen. "Verdammter Terrorist", sagten sie zu ihm und beschimpften ihn, ... Ich habe mich an ihn geklammert: "Warum wollt ihr ihn mitnehmen?" Da haben sie mir die Pistole an den Kopf gesetzt, doch nichts, ich hatte keine Angst in dem Moment. "Auch wenn ihr mich umbringt, ich werde ihn nicht loslassen. Ihr werdet ihn nicht mitnehmen". Daraufhin haben mich zwei gegriffen. Sie haben meine Hand weggezerrt. Meinen Finger haben sie mir verdreht. Ich bin hingefallen. Es waren fast 15 Männer mit Skimützen, das Zimmer war voll. Sie begannen im Kleiderschrank alle unsere Sachen zu durchsuchen, warfen die Kleider auf den Boden, hoben das Bett hoch, und haben dabei sogar meine Kleine, mein Baby, auf den Boden geworfen. Sie begannen auf der Matratze herumzuklopfen. Sie begannen zu suchen, doch sie haben nichts gefunden. "Was glaubt ihr, was ihr finden werdet? Nichts!" Ich war ohnmächtig geworden. Sie haben mich wie eine Stoffpuppe auf den Boden geworfen. Ich weiß nicht, woran ich mich gestoßen habe, doch es scheint, ich bin bewußtlos gewesen. Als ich wieder zu mir kam, waren sie weg. Da habe ich gesehen, daß sie die Haustür festgebunden hatten. Mein Baby lag neben mir und weinte. Als ich zu mir kam, war die Kleine neben mir ... Alle unsere Sachen lagen auf dem Boden. Wir hatten ein bißchen Geld gespart und es zu Hause aufbewahrt, weil wir es nicht auf die Bank bringen konnten. Es war, um unser Grundstück zu bezahlen, und all das Geld haben sie mitgenommen. Auch unser Geld haben sie mitgenommen. Der Vierjährige weinte auch verzweifelt.

Suche in Haftzentren

Am nächsten Tag, als es hell wurde, war mir alles egal. Sowie es hell wurde, ging ich zur Kaserne. Ich hatte als allererstes gefragt: "Wohin bringen sie ihn? Wo kann ich ihn finden? Warum nehmen sie ihn mit?" "Geh zur Kaserne", sagte man mir, und darum bin ich am nächsten Tag zur Kaserne. Dort sagten sie mir: "Warum weinst du um einen Terroristen? Du bist jung. Such dir einen anderen Mann. Ein Terrorist ist deine Tränen nicht wert." Und sie beschimpften mich. Danach ging ich zur Kommandantur. Seit jenem Tag suche ich ihn, doch nichts. Am gleichen Tag habe ich Anzeige beim Staatsanwalt erstattet. Das alles habe ich am nächsten Tag gemacht.

Danach hat eine Frau gesagt: "Wenn du diesen Oberst bezahlst, kannst du ihn herausholen." Doch ich hatte nichts mehr. Das Geld, das wir gespart hatten, war weg. Es war nicht mehr da. Vergeblich verlangten sie Geld von mir. Nach vier oder fünf Tagen hatte ein Hauptmann, ein gewisser Llerena, erzählt, dass er in der Kaserne ist. Sie hätten ihn gefoltert, sagte er mir, und wenn er die Schläge übersteht, wird er in 14 Tagen freikommen.
Wir taten uns mit anderen Frauen zusammen, um Papiere vorzulegen. In der Nacht hatten sie nicht nur meinen Mann abgeholt, sondern noch mehrere andere. Damals habe ich eine Frau kennen gelernt und danach noch ein Mann. Mit ihnen zusammen haben wir Papiere eingereicht. Wir waren die allerersten, die Eingaben machten.


Suche auf dem Land und die Entdeckung von Leichen

Wieder zurück, habe ich gehört, daß in Infiernillo 9 Leichen liegen sollten. Es gab da einen Erdrutsch. Dort bin ich auch hingegangen mit meinem Baby auf dem Rücken, und wir haben 5 Leichen entdeckt. Zusammen mit einigen anderen Frauen sind wir hingegangen, drei waren wir. Und ich bin hinuntergestiegen, ich weiß nicht wie, doch ich bin unten angekommen, und bei einem schien es mir, als sei er noch am Leben, als würde er atmen. Doch sie hatten ihn mit einem Messer in den Rücken gestochen, und dort wimmelte es von Würmern, und es floß Blut heraus. Sie hatten ihn nackt ausgezogen, sie waren alle nackt, zwei Mädchen und drei Männer. Um sein Gesicht zu sehen, habe ich ihn umgedreht, das ganze Gesicht hatten sie ihm zerschnitten. Und sein Auge hatten sie ihm ausgestochen und Farbe über ihn geschüttet. Und so sahen die weiter unten auch aus. Und da sagte der Taxifahrer, der uns half: "Wenn sie sie in der Kaserne umbringen, bringen sie sie hierher und laden sie ab. Paßt auf, daß sie euch nicht entdecken, sonst bringen sie euch alle um." Und ich habe mir den Toten weiter angesehen und an seinem Fuß gesucht, denn mein Mann hatte eine Narbe. Als er Motorrad fuhr, hatte er sich verbrannt, so daß er dort eine große Narbe hatte. Danach habe ich bei allen gesucht, doch ich habe keine gefunden.

Darauf habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Und es war, wie der Taxifahrer gesagt hatte. Kaum waren wir einen halben Block entfernt, kamen die Militärs und suchten alles ab. Seit jener Zeit bin ich auf der Suche. Ich bin auch in Lima zum Gefängnis, um dort nachzufragen, doch nichts. Diejenigen, die freigelassen wurden, konnten mir auch nichts sagen. Ich habe ihn nicht gefunden. Nur der Hauptmann, der Hauptmann Llerena - er war Hauptmann bei der Armee - er hatte mir gesagt, dass sie meinen Mann hätten, doch das war 3, 4 Tage, nachdem sie ihn abgeholt hatten. Danach gab es einen anderen Hauptmann mit Namen Blanco (wahrscheinlich sein Deckname). Er sagte mir, als er mich weinen sah: "Es tut mir sehr Leid, wirklich sehr Leid, doch ich war dabei, als sie ihn hinter dem Friedhof abgeladen haben. Wenn wir uns früher kennen gelernt hätten, hätten wir nichts gemacht. Der junge Mann hat die Folter nicht ausgehalten. Ihm ging es sehr schlecht, und da hat er nicht weiter ausgehalten." Das sagte er mir ganz offen. Wir hatten sie zum Trinken eingeladen. Ich hatte eine junge Frau kennengelernt, die in der Kaserne arbeitete. Sie waren befreundet, er war mit dem Mädchen zusammen. Da war es, wo er mir sagte: "Wenn er all die Schläge, all die Folter übersteht, wird er in zwei Wochen freikommen. Dann kannst du ihn aus der Kaserne herausholen."

Folgen der Gewalt

Und danach sind wir mit meiner Schwester ..., mit meinen Verwandten, meiner Schwester, meiner Mutter wieder hin. Sieben Jahre ging das so. Ich habe viel geweint. Ich konnte nicht vergessen. (...) Ich bin krank geworden. Fast ein halbes Jahr, sechs oder sieben Monate war ich krank. Man hat mir gesagt, es kommt von all dem, was ich durchgemacht habe. Ich war ständig niedergeschlagen. "All das ist der einzige Grund für deine Krankheit", so sagte mir der Arzt.

Als ich krank wurde, konnte ich nicht arbeiten, und wir hatten nichts zu essen. Denn meine Mutter ist vom Land, sie arbeitete in nichts, und mein Bruder studierte. Als ich wieder gesund war, begann ich zu arbeiten, doch ich suchte ständig weiter. Manchmal wurde meine Tochter krank. Sie war immer kränklich.

Die ständige Ungewissheit

Und wo ist er? Bis heute wissen wir es nicht. Bis zu meinem Tod werde ich sagen, daß er vollkommen unschuldig war. Warum wird man ihn unnötig, für nichts, verschwinden lassen?

Sogar meine Tochter sagte: "Ich werde ihn auch so lange suchen, bis wir wissen, wo er ist, wo die Reste meines Vaters sind. Solange werden ihn suchen. Wenn ich groß bin, werde ich ihn weiter suchen." Sie ist 16 Jahre alt. Manchmal braucht sie in der Schule Bücher, und da ich keine Arbeit habe, sagt sie dann: "Wenn nur mein Vater da wäre ...". Die Familie meines Mannes hat uns nie unterstützt, nicht mit einem einzigen Teller Essen, mit nichts. Darauf sagt sie: "Wenn bloß mein Vater da gewesen wäre." Ich ließ sie ein Jahr mit der Schule aussetzen. Darum macht sie erst dieses Jahr ihren Abschluss. Jetzt möchte sie zur Universität und sich für die Aufnahmeprüfung in Jura vorbereiten. Und da ich kein Geld habe, sage ich: "Du kannst eine Ausbildung an einem Institut machen." "Nein Mama, ich werde auf die Universität gehen."

Forderung an die Behörden

Ich würde verlangen, dass sie uns helfen, damit wir Gerechtigkeit erhalten, denn die Angehörigen der Unschuldigen, die sie haben verschwinden lassen, haben sehr gelitten, und wir erinnern uns immer an sie. Vielleicht wenn er woanders gearbeitet hätte, doch er arbeitete immer nur zu Hause, und wir gingen sogar zusammen Material kaufen. Er ist fast nie allein weg. Wieso haben sie ihn verschwinden lassen, obwohl er unschuldig war? Noch nicht einmal seine Reste hat man uns übergeben. Wenn er im Gefängnis wäre, hätten wir ihn wenigstens besuchen gehen können, ihn wenigstens sehen können. Doch so haben sie einem Unschuldigen das Leben genommen, und das werden wir nicht vergessen. Wir werden immer weiter Gerechtigkeit fordern.

Wir wollen von der Regierung, daß sie uns zuhört. Schon vor langer Zeit haben wir Gespräche verlangt, doch nichts mit Gesprächen. Wir werden nicht empfangen. Doch wir werden weiter darauf bestehen. Wir werden nicht ruhig sein, bis wir wissen, was mit ihnen passiert ist.


Juli 2000



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Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 23 ff. (1. Korrektur)


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