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Bericht aus "Die Stimmen der Verschwundenen".

Veröffentlichung der "Defensoría del Pueblo" von Peru.


"...Was für ein hartes Los hatten wir. Warum haben sie uns meinen Vater auf diese Art weggenommen? Wenn er gestorben wäre, hätten wir wenigstens zu seinem Grab gehen können ... Bis wann werden wir noch leiden müssen ..."

I. U. M.

Ich wurde 1956 in Quinua, Ayacucho, geboren. Ich bin nicht lange zur Schule gegangen. Ich arbeite auf dem Markt, im oberen Teil, wo Essen verkauft wird. Das mache ich jetzt. Ich habe drei Kinder.

Umstände der Verhaftung

Mein Mann war aus Ayacucho. Er wurde 1949 geboren. Sie haben ihn hier in der Kaserne in Ayacucho verhaftet, so wurde mir gesagt. Sie haben ihn am 1. Oktober 1990 um 10 Uhr früh 3 Personen festgenommen. Er ist jetzt seit 10 Jahren verschwunden. Er war Agraringenieur. Er ist verschwunden, und ich kann nichts tun. Ich bin auf der Suche nach ihm nach Lima gefahren, überall habe ich nach ihm gesucht.

Am Montag, den 1. Oktober, ist er hochgegangen zu einem Büro der CORPAC. Er wollte einen Traktor leihen, denn er hatte dort ein Stück Land. Sie sind zu dritt gewesen und wurden verhaftet. Sie sind nicht wieder herausgekommen. Ich habe auf dem Feld auf meinen Mann gewartet. Ich wußte von nichts. Dann bin ich um 5 Uhr nachmittags nach Hause gegangen. Ich habe meinen Sohn gefragt: "Dein Papa ist nicht gekommen?"

"Nein, Mama. Er ist zur Kaserne in Ayacucho, um einen Traktor zu leihen. Bestimmt habt ihr euch unterwegs verpaßt."

Die Suche in Haftzentren

Ich bin zu dem Büro, um nachzufragen. Doch es war schon geschlossen. Ich konnte keinen mehr fragen. Dann bin ich zurück, zu den anderen Männern nach Hause, und habe ihre Familien gefragt. Zusammen sind wir zur Kommandantur gegangen. Wir dachten, er wäre vielleicht in eine Razzia geraten. Was war nur passiert? Wir haben uns zu mehreren zusammen getan und haben überall gefragt. Niemand hat uns Auskunft gegeben. Bis 11 Uhr abends haben wir gesucht, und er tauchte nicht auf. Am nächsten Tag bin ich wieder zur CORPAC und habe den Ingenieur gefragt: "Herr Ingenieur, war mein Mann gestern hier?" "Ja, er war hier. Um 9 Uhr vormittags. Er ist wieder gegangen, weil die Unterschrift des Vorsitzenden der Dorfgemeinschaft fehlte. Darum ist er wieder gegangen, doch er ist nicht wieder gekommen." Danach habe ich den Mann am Essenstand gefragt. Er sagte mir, ja, hier sind drei Personen aus dem Büro gekommen, und da war ein Wagen des Nachrichtendienstes. Sie sind ihm ein Stück gefolgt und haben ihn dann in das Auto einsteigen lassen. Der Herr trug eine beigefarbene Hose, graue Turnschuhe und eine Jacke, so wie mein Mann. "Er trug einen schwarzen Aktenordner". Es war mein Mann.

Zeugen der Verhaftung

Ich bin zu Fuß zurück zum Staatsanwalt und habe Anzeige erstattet. Während wir noch auf der Suche waren, haben sie abends zwei von ihnen freigelassen. Einer von ihnen war ein Ex-Polizist von unterhalb von Totorillas. Dort hatten sie ihn freigelassen und ihm gedroht: "Du wirst nichts sagen. Wenn diese Frau nach ihrem Mann fragt, wirst du ihr sagen, ich weiß von nichts, ich war mit Freunden zusammen und habe getrunken, darum bin ich nicht nach Hause gekommen. Du wirst ihr nichts sagen. Wenn du es tust, werden wir dich und deine ganze Familie umbringen."

Sie hatten die drei gezwungen, in den Wagen zu steigen. Er hatte seinen Pullover ausgezogen und damit fesselten sie ihn. Der Wagen gehörte der Armee. In der Kaserne haben sie alle ihre Papiere verlangt. Von meinem Mann haben sie den Ausweis verlangt, und sie haben ihm die Schnürsenkel seiner Turnschuhe weggenommen und das Geld, das er bei sich hatte, um den Traktor zu mieten. Alles haben sie ihm weggenommen. Dann haben sie meinen Mann in einen anderen Raum gebracht. Sie wurden in drei verschiedene Zellen gesperrt. Die drei wurden die ganze Nacht gefoltert.

Als die beiden anderen freigelassen wurden, kamen sie zu mir nach Hause und sagten mir: "Wissen Sie, uns ist dieses Unglück passiert. Ihr Mann ist in der Kaserne. Wir haben ihn lebend zurückgelassen. Uns haben sie freigelassen. Vielleicht können Sie etwas machen, doch sagen Sie niemand, daß wir Ihnen Bescheid gesagt haben. Ihr Mann wird geschlagen."

Mißhandlung der Angehörigen

Ich bin nach Lima gefahren und habe mehrere Anwälte aufgesucht, die mein Mann kannte, damit sie mir helfen. Sie haben mir geholfen, doch es ist nichts dabei herausgekommen. "Mein Mann ist in der Kaserne", sagte ich. "Und woher weißt du das?" "Der und der hat es mir erzählt." "Dann bring diese Person her, damit sie aussagt," sagte mir der Staatsanwalt. Und ich habe den Staatsanwalt gesagt: "Nein, Sie vertreten das Gesetz. Sie müssen mit mir kommen. Helfen Sie mir, bitte." Zusammen mit dem Staatsanwalt bin ich zur Kaserne. Er ist hineingegangen und blieb rund zwei Stunden drinnen. Mich haben sie nicht hineingelassen. Ich saß draußen und wartete. Er kam heraus und sagte: "Weißt du was? Sie sagen, daß sie deinen Mann freigelassen haben. Sicher haben ihn die Terroristen mitgenommen. Ich weiß nicht. Dein Mann wird sicherlich zurückkommen. Hier in der Kaserne ist er nicht." Ich bin nach Hause zurück und zu meinen Verwandten, um ihnen Bescheid zu sagen.

Ich bin zur Kaserne, ganz allein bin ich ihnen gegenüber getreten. Der General sagte mir: "Und was willst du? Weinend sagte ich zu ihm: "Herr General, mein Mann war hier. Was hat mein Mann verbrochen? Herr General, ich will es wissen. Warum ist er verhaftet worden? Und warum haben Sie meinen Mann nicht freigelassen. Zwei haben Sie freigelassen. Und warum halten Sie meinen Mann fest?" Er sagte: "Und warum fragst Du mich das? Woher nimmt du das Recht, mich auf diese Art zu beschuldigen? Du solltest sehr vorsichtig sein. Wie kommst du dazu, so etwas zu sagen? Warst du etwa dabei? Dein Mann war ein feiges Huhn, was soll sein? Und hätte ich mir dein Huhn gegriffen, hätte ich die drei, alle drei verspeisen müssen. Ich hätte nicht zwei freilassen können. Diesen beiden kann viel geschehen", sagte er zu mir. Ich antwortete ihm: "Nein, Herr General, mein Mann ist hier. Er ist sehr wohl hier. Wenn mein Mann wirklich Terrorist wäre, dann habt ihr Fristen. Ihr müßt ihn nach 15 Tagen dem Untersuchungsrichter übergeben." "Nein, wenn du mich auf diese Art beschuldigst, solltest du vorsichtig sein. Bring die beiden her. So wie du es mir ins Gesicht sagst, sollen die beiden es mir ins Gesicht sagen. Du mußt die zwei herbringen, wie auch immer." Das konnte ich nicht, denn die beiden waren nach Lima gegangen. Ich habe die ganze Avenida Trujillo nach ihnen abgesucht und sie gefunden. Ich habe sie als Zeugen zur Staatsanwaltschaft in Lima mitgenommen. Einer der jungen Männer sagte: "Sie haben uns gefoltert." (...) "Wo hast du ihn zuletzt gesehen?" "In einer Zelle habe ich ihn zuletzt gesehen. Sie haben mir gedroht, daß sie mich umbringen. Darum bin ich nach Lima gegangen."

Mit dem Protokoll dieser Aussage bin ich wieder zur Kaserne. Sie fragten mich: "Was willst du?" "Hier ist alles, Sie haben dieses Papier von mir verlangt. Darum bin ich nach Lima und habe ihn getroffen. Mit diesem Papier komme ich zurück, denn Sie, Herr General, wollten einen Beweis", sagte ich zu ihm. "Darum bringe ich dies." Er sagte zu mir: "Diesen Beweis hast du also gebracht? Das reicht nicht als Beweis." Daraufhin sagte ich zu ihm: "Wie kann es sein, daß das nicht als Beweis, Herr General? In diesem Fall bringen Sie mich auch um, zusammen mit all meinen Kindern. Wie soll ich so weiterleben, mit nichts, denn meinen Mann haben sie auf jeden Fall gegriffen und mitgenommen, und er ist nicht freigekommen (...)"

Da sagte er zu mir: "Es gefällt mir nicht, daß du mir mit dem Staatsanwalt kommst. Du kommst mit dem Staatsanwalt oder in Begleitung von anderen Leuten. Es gefällt mir nicht, daß du so hierher kommst. Komm besser allein. Komm morgen Nachmittag um 5 oder um 3, aber allein, und wir werden reden. Du beschuldigst mich offen, also werden wir beide reden, und ich werde dir sagen, was mit deinem Mann ist. Aber ich will, daß du allein kommst. Dann werden wir unter vier Augen reden und du mußt mir sagen, wer die Freunde deines Mannes waren, mit wem er sich traf, wer sein Freund, wer seine Freunde waren. Und ich werde dir auch entgegenkommen." Das habe ich dem Staatsanwalt erzählt: "Das hat er zu mir gesagt, Herr Staatsanwalt. Was soll ich tun?" Und er sagte mir: "Nein, geh nicht mehr hin. Das hat er dir gesagt, um dich auch zu umzubringen. Geh besser nicht mehr hin." Das sagte er zu mir. Also habe ich es sein lassen. Ich bin nicht mehr hingegangen.

Bedrohung der Angehörigen.

Ich habe hier in Ayacucho weitergesucht, und die vom Nachrichtendienst sind zu mir nach Hause gekommen, um mich umzubringen. Mein Sohn sagte zu mir: "Mama, dann sollen sie uns alle drei umbringen. Wie sollen wir ohne unseren Papa weiterleben." Das sagte mein ältester Sohn zu mir. Wir sind nach oben in die Berge gegangen, um dort zu suchen, und sind die ganze Gegend abgelaufen. Als ich zurückkam, sagte meine Schwägerin zu mir: "Ein Mann war bei dir zu Hause. Er hat nach dir gefragt. Er ist vom Nachrichtendienst. Ich bin ihm bis nach unten gefolgt." Ich bin sofort nach Lima. Es gab Tage, an denen ich nur Sprudel getrunken habe. Ich ernährte mich nur von Flüssigkeit, denn ich hatte nichts. Ich arbeitete nicht und hatte kein Geld. Meine Kinder waren allein. Und als ich in Lima war, bin ich krank geworden und kam ins Krankenhaus Loayza. Ich fuhr die ganz Zeit hin und zurück, hin und zurück. So sah mein Leben aus.

Bis heute frage ich bei den Behörden nach. Damals war ich zwei Jahre damit beschäftigt. Ich bin von einer Stelle zur anderen gelaufen, doch nichts, ich habe nichts erfahren. Ich wollte wissen, ob sie meinen Mann wirklich umgebracht haben, und erreichen, daß sie mir wenigstens seinen Leichnam übergeben. Vielleicht haben sie ihn wegen des Geldes umgebracht, das er bei sich hatte, ich weiß nicht, warum sonst? Es schien, als wäre mir die Welt verloren gegangen, während ich nach meinem Mann suchte. Bis jetzt ist es so. Es gibt Nächte, da träume ich, daß er zurückkommt. "Ich werde zurückkommen, ich bin in Haft", sagt er dann zu mir. Darum glaube ich, daß er in Haft ist.

Ein Jahr lang wurde ich verfolgt und bedroht. Ich bin nach Lima gegangen, dann kam ich zurück, denn ohne meine Kinder litt ich in Lima. Hier hatte mich der Nachrichtendienst noch einmal gesucht. Zu Hause haben sie mich nicht gefunden, und die Vermieterin hat gefragt: "Wen suchen Sie?" "Wir suchen Frau M.", antworteten sie ihr. "Sie wohnt nicht hier. Was erlauben Sie sich, hier einzudringen, ohne vorher anzuklopfen?"

Ich war drinnen, zitternd vor Angst, ich war sehr nervös, und die Vermieterin sagte zu mir: "Sie haben dich wieder gesucht. Ich will nicht, daß du weiterhin kommst. Dir kann wer weiß was passieren. Nimm deine Kinder lieber mit nach Lima." Weinend fuhr ich nach Lima, und zum Abgeordneten sagte ich: "In Ayacucho suchen sie nach mir, ich kann dort nicht bleiben". Da hat er sich aufgeregt und hat gesagt: "Setz dich dort hin. Ich werde in der Kaserne in Ayacucho anrufen, denn er hat mir gesagt, daß sie dich nicht anrühren werden, und auch deine Familie in Ruhe lassen werden. Warum machen sie das also?" Und er ließ mich auf dem Stuhl in seinem Büro im Kongreßgebäude Platz nehmen, rief in der Kaserne an und sagte: "Sie haben mir versprochen, weder sie noch ihre Familie zu belästigen. Warum belästigen sie sie also?" Darauf hat der General ihm versprochen, daß man mich in Zukunft in Ruhe lassen wird: "Sie soll zurückkommen und hier mit ihrer Familie leben. Ihr wird nichts passieren." Er sagte zu mir: "Es wird dir nichts passieren. Mach dir keine Sorgen mehr." Seitdem haben sie nicht mehr nach mir gefragt.

Die ständige Ungewißheit

Vor zwei Jahren sagte mir jemand, mein Mann hätte mich angerufen. Ich war gerade im Haus beschäftigt, als ein Mädchen kam und sagte: "Dein Mann verlangt nach dir". "Wo verlangt er nach mir?" "Am Telefon verlangt er nach dir." "Wer? Mein Mann?" fragte ich. "Ich rufe meine Frau von Huancavelica aus an, ich rufe von ..., ich bin in Huancavelica". Da bin ich wie eine Verrückte zum Telefon gelaufen. Als ich dort ankam, war niemand mehr am Apparat, und er hat nicht wieder angerufen.

Als sie meinen Mann verschleppt haben, bin ich auch in Accomarca gewesen, wo sie viele Leute umgebracht haben. Auch dort bin ich hin. Vielleicht ist er unter ihnen, dachte ich. Überall habe ich ihn gesucht, doch ich habe ihn nicht gefunden. Ich bin auch ‚rein bis Infiernillo. Dort habe ich viele Leichen gesehen, doch mein Mann war nicht dabei. Überall bin ich gewesen, doch ich habe ihn bis heute nicht gefunden. Wegen der Anrufe, die ich erhalte, denke ich, daß er vielleicht immer noch in Haft ist.

Folgen der Gewalt

Mein ältester Sohn studierte Wirtschaft, als sie seinen Vater entführt haben. Doch nach diesem Problem hat er die Universität abgebrochen.

Alle in der Familie haben Schaden genommen. Ich bin immer noch ständig auf der Suche. Ich denke die ganze Zeit, vielleicht taucht er wieder auf, oder man sagt mir, was mit ihm passiert ist. Das ist es, was ich wissen will. Ich will ein für allemal Bescheid wissen. Sie sollen uns sagen, was mit diesen Menschen passiert ist. Mittlerweile bin ich sehr erbost über die Militärs, über die Regierung. Er (Fujimori) gibt nicht zu, was er weiß. Er ist Agraringenieur wie mein Mann, also ist er sein Kollege. Wie kann es sein, daß er nichts über ihn weiß? Mein ältester Sohn betrinkt sich manchmal und fragt dann nach seinem Vater. Alle seine Brüder, meine Schwager, sind Agraringenieure. Sie sind neun Geschwister. Darum sagen meine Söhne zu mir: "Wenn wir unseren Vater nicht verloren hätten, hätten wir dasselbe studiert. Doch wir hatten Pech. Sie haben uns unseren Vater weggenommen." Er sagt zu mir: "Wenn mein Vater noch da wäre, wäre es uns nicht so schlecht gegangen. Warum müssen wir so sehr leiden?" Er sieht seine Onkel, seine Cousins, die ihren Vater haben, und wie sie zu Weihnachten alles für ihre Kinder kaufen. Sie sagen: "Was für ein schlechtes Los haben wir gezogen. Warum haben sie uns unseren Vater auf diese Art weggenommen? Wenn es möglich wäre, wenigstens zu seinem Grab zu gehen. Wir würden uns damit abfinden, dann würden wir nicht mehr so sehr leiden." Mir tut es jedes Mal weh, wenn ich sein Foto ansehe.

Forderung an die Behörden

Ich würde von der Regierung verlangen, daß sie es zugibt, daß sie uns sagt, wo er ist, was mit ihm geschehen ist. Warum schweigt er (Fujimori)? Er ist nicht wie irgendein Tier, das nicht reden kann. Der Herr Fujimori muß etwas darüber wissen, wo mein Mann ist, denn unter seiner Regierung ist mein Mann verschwunden. Er weiß es, und er ist es, der lügt. Bis wann werden wir weiter leiden müssen? Es gibt einige Leute, die seit damals nicht aufgehört haben zu suchen. Sie sind schon alt und krank. Einige können nicht mehr sprechen. Sie sind krank zu Hause, sie haben sehr viel gelitten, wegen ihrer Familie, ihren Kindern, die sie haben verschwinden lassen. Mit ihnen zusammen sind wir losgezogen, hierhin und dorthin, weinend. All das hat uns sehr mitgenommen. Sie sind davon krank geworden. Sie sollen uns wenigstens die Leichen übergeben, wenn sie sie getötet haben.


Juli 2000



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Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 9 ff. (1. Korrektur)


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