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Bericht aus "Die Stimmen der Verschwundenen".

Veröffentlichung der "Defensoría del Pueblo" von Peru.


"... ich habe fast ein Jahr an verschiedenen Orten gesucht. Und jetzt? Bis heute weigern wir uns zu vergessen. Denn wir müssen bis zum letzten kämpfen. Wenn wir sterben, machen unsere Kinder weiter, und dann werden deren Kinder, meine Enkel weitermachen. Wir werden unsere Erfahrungen, das, was wir erlitten haben, was wir durchgemacht haben, weitergeben. Wir müssen bis zum letzten kämpfen."

G. A. C.

Umstände der Verhaftung

Ich bin 51 Jahre alt. Mein Mann wurde am 18. Mai 1986 in den frühen Morgenstunden zu Hause verhaftet. Es war ein Sonntag, darum habe ich nicht sofort Anzeige erstattet. Erst am Montag habe ich eine Anzeige beim Staatsanwalt und beim Gericht gemacht.

Der eine trug Jeans, Turnschuhe und einen schwarzen Pullover. Wir waren im Haus meiner Schwiegereltern, denn meine Schwiegermutter lag im Sterben. Zuerst sind sie zu uns nach Hause und haben meine Kinder gefragt: "Wo ist euer Vater?" "Bei meiner Großmutter", hat ihnen mein ältester Sohn gesagt. Und sie haben meinen Sohn nackt ausgezogen und ihn so, ohne Kleider, hergebracht. "Bring mich zu deinem Vater." Es war 4 Uhr morgens. Mein Sohn kam herein, und als allererstes fragte er mich: "Wo ist mein Vater?" "Dein Vater hat getrunken und schläft", habe ich gesagt. Der Mann stand hinter ihm, und da trat er vor und fragte: "Verflucht, wo ist dein Mann?" So redete er. "Mein Mann ist hier. Er schläft. Was wollen Sie von ihm?", habe ich ihm geantwortet. "Seinen Ausweis", sagte er. Ich hatte seinen Ausweis und habe ihn ihm gegeben. "Verflucht, steh auf", sagte er zu meinem Mann, der seinen Rausch ausschlief, und holte ihn aus dem Bett. "Wir werden ihn nicht weit weg bringen. Wir wollen ihn nur befragen", sagten sie. "Worüber wollen Sie ihn befragen? Warum befragen Sie ihn nicht hier?" schrie ich sie an, "meinem Mann geht es nicht gut." Da näherte sich ein anderer - es waren vier Militärs oder so - und bedrohte mich mit seiner Waffe. "Wozu? Warum wollen Sie meinen Mann mitnehmen?" rief ich. Da schrie mich der Militär an: "Verflucht! Terroristin! Warum regst du dich auf? Du wirst hier nicht herumschreien, verdammt! Wenn du weiter schreist, werden wie ihn umbringen." Da waren sie schon am Gehen. Dann haben sie ihn die Straße hoch geführt. Sie gingen zwei oder drei Blocks mit ihm zu Fuß. Dort stand ein Armeelastwagen, da ließen sie ihn aufsteigen, und das ist das letzte, was ich von ihm sah.

Die Nacht, als sie meinen Mann abolten, haben sie auch den Jungen der Familie Delgadillo festgenommen. Also haben wir mit der Mutter beim General Jara vorgesprochen: "Sie wissen es sehr gut. Sie haben Ihre Leute geschickt. Wo sind unsere verschwundenen Angehörigen? Wohin haben Sie sie gebracht?" Darauf antwortete der General Jara: "Verflucht! Willst du mir etwa erzählen, dass du es nicht wusstest? Du wusstest sehr gut, dass dein Mann ein Terrorist ist. Wie viele Soldaten hat er in der Selva (Urwaldgebiet des Amazonas), in Toccto, umgebracht, an der Brücke, wo sie die Armee angegriffen haben", sagte er. "Ach, du hast Kinder? Und hatten die Soldaten, die dein Mann, der Terrorist, getötet hatte, etwa keine Kinder?" In diesem Stil waren seine Antworten. Doch weinend haben wir weiter gedrängt. Da sagte er: "Nicht jetzt, in sechs bis acht Tagen werde ich sie freilassen." Das hat er uns gesagt, doch seitdem ist nichts geschehen. Wir haben immer wieder nachgefragt. Bis jetzt, nichts. Nach Gerüchten, die ich gehört habe, haben sie ihn woanders hingebracht. Doch bis jetzt wissen wir nichts.

Suche in Haftzentren und die Entdeckung von Leichen

Am nächsten Tag begann ich, von einem Ort zum anderen zu ziehen, um ihn zu suchen. Ich war überall. Doch nichts, keiner hatte ihn gesehen. Niemand. Niemand.

Ich bin auch aufs Land. Nach Infiernillo, Puracoti, zu den Flüssen, zu den Schluchten bin ich gegangen, um ihn zu suchen, doch nichts. Ich habe noch nicht einmal seine Leiche gefunden. Also bin ich am Montag zur Präfektur, um Anzeige zu erstatten.

Damals, 1987, 1988 sind wir mit dem Vorstand (der ANFASEP = Nationale Assoziation der Familien der Angehörigen von Entführungsopfern, Verhafteten und Verschwundenen in den Gebieten im Ausnahmezustand) und sogar mit einem Anwalt losgezogen. Auf unserer Suche fanden wir Tote, Männer, Frauen. Alle schwer gefoltert, einige mit aufgeschlitztem Bauch, die Kinnlade, die Zunge, die Augen herausgerissen. Brutal gefoltert. Und sie ließen sie rohe Kartiffelschalen essen. Rohe Weizenkörner und rohe Gerste haben sie sie essen lassen. Die Fingernägel waren herausgerissen, und die Finger hatten sie ihn abgeschnitten. Frauen vergewaltigten sie (...?). Die Gesichter waren mit Farbe beschmiert, damit man sie nicht erkennt. Köpfe ohne Körper voller Farbe. Ja, so brutal gefoltert fanden wir die Leute in Infiernillo, in Puracoti, hier in Llampuccllo, in Llanama, in Casahorcco. Die meisten waren nackt. Und die Kleidung, mit der sie sie mitgenommen hatten, zogen sie anderen Leichen an. So haben wir sie gefunden. Es war eine sehr, sehr schwere Zeit. Was haben wir gelitten! Das alles hat ein Trauma hinterlassen ... ein schweres Trauma.

Wir haben die Leichen durch den Staatsanwalt, durch den Richter bergen lassen. Wir ließen sie ins Krankenhaus schaffen, damit sie identifiziert werden konnten. Doch wie sollte man sie erkennen? Vollkommen mit Farbe beschmiert, die Körper verstümmelt. Wir haben sie nicht erkannt. Noch nicht einmal ihre Verwandten haben sie erkannt. Einige wenige, einige wenige erkannten sie an ihren Haaren wieder.

Meine Kinder waren damals 17, 15, 14, 10 Jahre alt, und der letzte war 4. Mit ihnen zusammen suchten wir, weinten wir, gingen wir aufs Land und zu den Brachflächen am Stadtrand. Sie entledigten sich der Leichen in Infiernillo, Puracoti, hier in Huascaora und an anderen Stellen. Ich hatte die Hoffnung, dass wir wenigstens seine Leiche fänden, um sie zu beerdigen, doch wir haben sie nicht gefunden. Wie viel haben wir geweint! Meine Kinder fragen bis heute: "Was ist wohl mit unserem Papa passiert? Was ist mit ihm geschehen? Wo ist er? Wie haben sie ihn wohl umgebracht?" So reden sie noch heute.

Ein Jahr lang ließ ich nicht locker. Fast ein Jahr lang suchte ich überall, auf dem Land, in ganz Cangallo, an vielen Orten. Und jetzt? Bis heute weigern wir uns zu vergessen. Denn wir müssen bis zum letzten kämpfen. Wenn wir sterben, machen unsere Kinder weiter, und dann werden deren Kinder, meine Enkel weitermachen. Wir werden unsere Erfahrungen, das, was wir erlitten haben, was wir durchgemacht haben, weitergeben. Wir müssen bis zum letzten kämpfen.

Folgen der Gewalt

Ich habe nichts, ich hatte nichts. Ich hing ganz von meinem Mann ab. Er sorgte für uns, er erzog die Kinder, und ich leide bis heute mit meinen Kindern. Meine Mutter und mein Vater sind alte Leute. Bei ihnen ließ ich meine Kinder weinend zurück. Mit ihnen zusammen gaben wir ihnen zu essen, und sei es, dass wir Wasser und Salz kochten. Ich war auf der Suche, bis heute bin ich auf der Suche, doch ich weiß nichts. Die Regierung kümmert sich nicht um uns und unsere Kinder, darum, was wir gelitten haben. Bis wann werden wir leiden? Wir wollen Gerechtigkeit. Sie könnte uns wenigstens berücksichtigen. Brauchen unsere Kinder etwa nicht ihren Vater?

Nach fast vier Jahren hat der Nachrichtendienst der Armee auch meinen Sohn verhaftet. Sie haben ihn in der Nacht abgeholt, und wieder haben sie behauptet: "Du bist ein Terrorist!" Doch ich konnte ihn nach einem Monat aus dem Gefängnis herausholen. Deswegen habe ich bis heute Angst. Mein Sohn wurde auch gefoltert, und sie haben ihn als Terroristen bezeichnet. Doch das stimmt nicht.

Wie oft haben die vom Nachrichtendienst mich bedroht. Erst vor einigen Monaten, letztes Jahr im September, kamen sie und sagten mir: "Mach keine Aussage! Warum gehst du nicht zur Regierung, zur Militärverwaltung, damit sie dir Unterhalt verschafft, damit du eine Entschädigung bekommst. Du solltest erklären ... du solltest diese Anzeige, die du gemacht hast, fallen lassen. Du kannst sagen, dass ihn die Terroristen umgebracht haben." Doch das stimmt nicht. Ich selbst war Zeugin, dass sie, die Militärs, ihn mitgenommen haben. Warum sollte ich lügen? Das wäre ein Verbrechen.

Bis heute bin ich allein. Mehr schlecht als recht sorge ich für meine Kinder. Wie würden sie leiden, wenn ich mir einen anderen Mann suchen würde. Wegen meiner Kinder würde er mich schlagen und misshandeln. Das ist der Grund, weshalb ich das nicht will.

Die Älteste ist 28 Jahre alt. Sie ist verheiratet. Sie hat mehr schlecht als recht ihre Ausbildung beendet. Jetzt ist sie medizinisch-technische Assistentin in Cangallo. Sie arbeitet noch. Die andere ist auch schon verheiratet. Sie ist auch Krankenschwester. Sie hat gerade die Ausbildung beendet, und es fehlt ihr noch die Ernennungsurkunde. Meine andere Tochter macht ebenfalls eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin. Sie ist 20 und noch nicht fertig, weil das Geld fehlt. Sie braucht Geld, um ihre Ernennungsurkunde zu bezahlen, 1500 Soles. Wo soll ich die hernehmen? Darum ist sie zum Arbeiten nach Lima, um Geld für ihren Titel zu verdienen. Der andere ist erst auf der Akademie. Er ist 20. Der andere wird 19, und der letzte wird im August 18. Er ist dabei, die Sekundärstufe abzuschließen. Für sie sorge dich. Ich achte darauf, dass sie sich nicht mit den Jugendbanden zusammentun. Ich habe Angst, wenn sie spät nach Hause kommen, und muss immer daran denken, während ich auf sie warte. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich ihnen nachgehen. Ich würde sie vor der Tür erwarten. Hier gibt es viele Kriminelle, Drohungen, Betrügereien. Darum habe ich Angst, dass sie in diese Dinge hineingezogen werden. Ich bin Vater und Mutter für meine Söhne und versuche ihnen beizubringen, dass sie sich nicht auf so etwas einlassen sollen.

Forderung an die Behörden

Wir haben hier gemeinsam mit einigen anderen Frauen gelitten, geweint, gesucht, Anklage erhoben und uns bei den Behörden in Erinnerung gebracht. Darum wollen wir jetzt Gerechtigkeit. Wir verlangen auch von der Regierung, dass die Schuldigen vor Gericht gestellt werden, nicht die Regierung selbst, sondern die Täter, dass die Regierung ihrer Aufgabe nachkommt, sie vor Gericht zu stellen. Da wir für unsere Kinder Vater und Mutter sein mussten, sollte sie wenigstens dafür sorgen, dass sie Arbeit haben, zumindest einen Ausgleich für unsere Kinder, damit sie etwas weniger leiden, damit sie etwas weniger Sorgen haben.

Wenigstens Arbeit für unsere Kinder. Ich weiß oft nicht weiter, weil das Geld fehlt. Ich dränge sie zu jeder Arbeit, zum Verkauf von Büchern, Zeitungen, Eis oder was auch immer, damit sie arbeiten, damit sie zum Unterhalt beitragen. Ich allein, ich schaffe es nicht. Ich bitte die Behörden, die Regierung selbst, dass sie unsere Situation und die unserer Kinder in Betracht zieht, dass sie uns nicht übergeht, dass sie untersucht, wo unsere verschwundenen Angehörigen sind. Die Wahrheit darüber, ob er ein Terrorist war oder nicht, so viel verlangen wir gar nicht mehr. Vielmehr fordern wir von der Regierung, dass sie uns suchen hilft, dass sie uns eine klare Auskunft gibt, dass sie uns die Wahrheit sagt, ob unsere Verschwundenen tot oder lebendig sind. Wie lange sollen wir noch leiden! Die Regierung sollte uns außerdem erklären, warum sie ihre Militärs aufs Land geschickt hat, um unschuldige Menschen umzubringen. Wie blind haben sie gemordet, ohne vorher nachzuforschen, ohne hinzusehen.

Juli 2000



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Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 9 ff. (1. Korrektur)


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