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Bericht aus "Die Stimmen der Verschwundenen".

Veröffentlichung der "Defensoría del Pueblo".


"Ich würde gern wissen, wo er ist, dass man mir sagt: Ist er am Leben? Wo wird er gefangen gehalten? Wenn er in Haft wäre, würde ich hingehen, und wenn er tot ist, sollen sie es mir sagen, und ich würde mich damit abfinden. So wie es jetzt ist, denke ich Tag und Nacht, er wird schon kommen, er wird bald hier sein, er ist bestimmt schon frei. Es ist ein Elend, gnädiger Gott, ich flehe nur zu ihm, und ich glaube, dass er mir Mut und Kraft gegeben hat, für meine Kinder zu sorgen. Tag für Tag bete ich zu ihm, nur für meine Kinder bete ich zu ihm. Wenn er in Haft wäre, würde ich ihn besuchen und würde mich damit abfinden und meine Kinder würden sich auch damit abfinden."

D. Y. V.

Ich bin 48 Jahre alt. Mit 28 habe ich geheiratet. Ich habe 5 Kinder, 3 Mädchen und 2 Jungen. Ihr Vater hat mich mit ihnen zurückgelassen, die älteste war 9 Jahre alt, alle waren noch klein.

Umstände der Verhaftung

(...) Am 18. Juli 1990 ging er aus dem Haus. Er war Koch und betrieb Handel. Er fuhr nach Huanta und kam nicht wieder. Mir wurde gesagt, dass er in Huanta getrunken hat und sie ihn bei einer Razzia betrunken aufgegriffen haben, und seitdem ist er verschwunden. Ein junger Mann erzählte meinem Schwager, dass mein Mann im Gefängnis war, bei der Zivilpolizei (PIP). "Wir haben ihn bei der Razzia mitgenommen. Es tut mir leid, dass wir ihn mitgenommen haben, doch die Militärs haben uns dazu gezwungen. Wir haben mehrere mitgenommen, und darunter war dein Bruder", sagte er zu ihm, "ich habe ihn gesehen. Wir haben miteinander gesprochen." Da hatte ich gerade einen Brief erhalten, (...) er hatte mir geschrieben. Dieser junge Mann brachte ihn mir. Wir haben ihn gelesen, und er hat ihn um seiner Familie willen gebeten. Er sagte zu ihm: "Bitte, in mir ist kaum noch Leben, mein Schicksal ist besiegelt, und ich habe meiner Frau viele Dinge auszurichten." Er schrieb: "Meine Kinder, es sind meine Kinder, mein Zuhause, um das ich weine." So schrieb er mir. Ich kenne seine Schrift, Ich wusste, dass der Brief von ihm war. Darauf sagte ich mir, "ich werde ihn suchen", doch ich konnte ihn nicht wieder finden. Ich glaube, ich war bis zum 20. August unterwegs. Dann konnte ich nicht mehr. Ich hatte kein Geld. Ich musste meinen Kinder zu Essen geben. Es war mir nicht möglich, weiter zu suchen. In dem Moment sagten die Frauen, die dasselbe Probleme hatten und die mir helfen wollten: "Ihr müsst ein Papier von dort besorgen, wo er verschwunden ist. Von dort müsst ihr ein Papier besorgen." Und ich konnte nicht. Ich hatte sie gesehen, bevor mein Mann verschwand. Ich habe gesehen, wie sie von einer Stelle zur anderen gewandert sind. Sie waren ständig unterwegs und schleppten dieses Kreuz mit sich herum. "Die Ärmsten, die Ärmsten", dachte ich mir, und nun bin ich auch dort angelangt.

Die Suche in Haftzentren

Ich bin nach Huanta, zur Staatsanwaltschaft, zur Zivilpolizei. Am Gefängnis von Huanta sagte mir ein Soldat: "Ein Koch, der Häftling ist und als Koch arbeitet." Und ein Anderer sagte ihm: "Verflucht, was redest du da?" Und er hielt den Mund und konnte mir nichts weiter sagen. Man hatte mir gesagt, er sei bei der PIP. Nun erzählte mir dieser junge Mann, "sicherlich haben sie ihn in die Kaserne gebracht. Da gibt es einen Koch." Und als er anfing, mir davon zu erzählen, haben sie ihm gesagt, er soll ruhig sein. Ich habe die Chefs gefragt, und sie antworteten mir mit hässlichen Wörtern. Da sie keine Achtung mehr vor den Frauen haben, sagten sie mir hässliche Dinge, und von diesen Ausdrücken fühlte ich mich erniedrigt. Weinend bin ich nach Hause zurück gefahren, und meine Kinder, die Älteste ist fast verrückt geworden vor Angst um ihren Vater. Jetzt ist sie 19. Sie hat schon alles mitbekommen. Doch zwei meiner Kinder kennen ihn nicht. "Wie ist wohl mein Vater?", sagen sie.

(...) Ich war allein unterwegs, stand mitten in der Nacht auf, und ließ ihnen gekochtes Essen da, und kam verzweifelt zurück. So ließ ich meine Kinder die ganze Zeit allein. Und was blieb mir anderes übrig. Ich war die einzige, die arbeitete.

Anzeige bei den Behörden

(...) In Huanta habe ich Anzeige erstattet. Mir wurde in Huanta gesagt: "Heute ist Feiertag, komm morgen wieder." Ich sagte: "Ich bin nicht von hier. Ich komme aus Ayacucho." "Und warum haben sie ihn dann bis hier gebracht? Warum haben sie ihn nicht dort umgebracht?" Als ich die Sekretärin suchte, sprach sie mit mir durchs Fenster. "Er war Händler, darum kam er her und darum haben sie ihn hier verschwinden lassen." Darauf sagte sie zu mir: "Der Doktor weiß von diesen Dingen. Sprich mit ihm, denn wir haben gleich Feierabend." Da habe ich geantwortet: "Ich habe kein Geld, nicht einen Sol. Ich und mein Sohn haben heute noch nicht einmal gegessen. Es reicht gerade noch für die Fahrkarte." "Dann komm morgen oder übermorgen nach den Feiertagen wieder!" Und ich sagte: "Bitte!!" Und ein Herr, der hinter mir stand, sagte zu ihr: "Warum nimmst du es nicht auf? Siehst du nicht, dass die Frau von weit her kommt? Die Arme kann wahrscheinlich nicht noch einmal kommen. Hat sie nicht gesagt, dass sie ihren Mann sucht?" Erst da fing sie an, es in ihr Heft aufzunehmen. Das war alles. (…) So habe ich die Anzeige in Huanta aufnehmen lassen.


Ich bin in ganz Huanta herumgelaufen und habe überall gesucht. Weiter bin ich nicht gekommen, denn ich hatte keine Zeit. So bin ich zum Beispiel die ersten drei Tage nicht arbeiten gegangen. Ich verkaufe Essen in San Juan, und wenn ich einen Tag nicht arbeite, habe ich kein Geld. In den drei Tagen, an denen ich nicht gearbeitet habe, fragten mich meine Kinder: "Mama, warum gehst du nicht arbeiten? Es ist nicht zu essen da."

Wir haben gelitten. Wir hatten nicht zu essen. Die Nachbarn sagten: "Nimm das alte Brot für deinen Hund", und dieses Brot habe ich meinen Kindern gegeben. Denn ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte, wovon ich meinen Kindern zu essen geben sollte. Das ist es, was mir am meisten weh tut. Was soll ich jetzt machen? Früher hatten wir unseren Laden, wir hatten unsere Waren. Jetzt ist dafür kein Geld da. Wenn er wenigstens das zurückgelassen hätte, dann hätte ich damit meine Kinder ernährt, aber nein. Ich bin allein zurückgeblieben, alle meine Sachen, das Geld ist durch die Suche verloren gegangen.

Meine Tochter, die älteste ist fast verrückt geworden. Sie lief ständig zur Tür und hielt nach ihm Ausschau. "Mama, Mama, kommt Papi bald?" Der Jüngste sagte: "Mami, was hast du meinem Papi getan? Du hast ihn bestimmt geschlagen?" "Nein, ich habe deinen Papi nicht geschlagen, " sagte ich, "das ist es nicht", antwortete ich ihm. Ein Elend war mein Leben. Und obendrein steigen die Preise und das Geld reicht nicht aus. Wir wussten nicht, wovon wir essen sollten.

Die ständige Ungewissheit

Ich würde gern wissen, wo er ist, dass man mir sagt: Ist er am Leben? Wo wird er gefangen gehalten? Wenn er in Haft wäre, würde ich hingehen, und wenn er tot ist, sollen sie es mir sagen, und ich würde mich damit abfinden. So wie es jetzt ist, denke ich Tag und Nacht, er wird schon kommen, er wird bald hier sein, er ist bestimmt schon frei. Es ist ein Elend, gnädiger Gott, ich flehe nur zu ihm, und ich glaube, dass er mir Mut und Kraft gegeben hat, für meine Kinder zu sorgen. Tag für Tag bete ich zu ihm, nur für meine Kinder bete ich zu ihm. Wenn er in Haft wäre, würde ich ihn besuchen und würde mich damit abfinden und meine Kinder würden sich auch damit abfinden." Jetzt, mit dieser Idee im Kopf denken sie nicht einmal daran zu lernen, und dann haben wir kein Geld und obendrein das mit ihrem Vater. Ich sage zu ihnen: "Denkt nicht mehr daran, er ist bestimmt tot, denn es sind schon 10 Jahre. Euch tut es weh, doch mir nicht mehr."

Und auf der Straße sagen sie manchmal "Papi", und ich leide und beginne zu zittern, wenn jemand "Papi" sagt. So reden meine Kinder. Es ist ein Elend. Und sogar der Kleine kommt und sagt, dass ich jedes Jahr nach Lima fahren muss. "Geh, Mama, fahr nach Lima, vielleicht ist er da. Wenn wir nach Lima fahren, werden wir ihn vielleicht finden. Lass uns fahren, bitte." "Nein, bleib du bei deinen älteren Geschwistern." "Nein, Mama, lass uns fahren." Als wir nach Lima gefahren sind, war er es, der geweint hat. Im Justizpalast hat er geweint. "Ich will meinen Papi sehen, lasst meinen Papa frei, den ihr gefangen haltet ", so schluchzte mein Sohn. Ich habe auch geweint, alle haben wir geweint, als wir letztes Jahr im Justizpalast waren. Wir waren zwei Mal da.

Heute bin ich, Gott sei gedankt, schon dabei, mich damit abzufinden, doch ich will wissen, wo er ist. Es geht mir nicht aus dem Kopf. Und meinen Kindern geht es auch nicht aus dem Kopf. "Wo ist er bloß? Wo ist er bloß? Ist er tot? Lebt er noch?", denkt man ständig. Ich glaube, dass er am Leben ist. Er ist bestimmt in Haft, sage ich mir, er ist sicher in Haft. Ich möchte ihn sehen, und sei es nur, um zu wissen, dass er noch lebt. Ich glaube nicht, dass er tot ist. Wenn er tot wäre, hätte ich das Ganze schon vergessen. Ich denke, dass er lebt, ich glaube, dass es so ist.

Folgen der Gewalt

Ich habe keinen freien Tag. Ich allein trage die Last der Familie. Denn es gibt Verwandte, die nur da sind, wenn du etwas hast. Wenn du nichts hast, gibt es sie nicht. Wissen Sie, ich habe Brüder. Einer ist Lehrer oben in Santa Elena. Meinen anderen Bruder interessiert es nicht, ob wir leben oder tot sind. Sie rufen mich für jede Feier, die sie machen, damit ich dort koche. Dafür rufen sie mich. Doch sie sind nicht imstande zu kommen und ein paar Worte mit meinen Kindern zu reden, damit sie sagen können: "Das hat mir mein Onkel erzählt, dabei hat mir mein Onkel geholfen." Wer mir sehr geholfen hat, ist die Mutter Covadonga. Sie hat mir sehr, sehr viel geholfen bis hin, dass sie mir ihre Kleider gegeben hat. Als meine Kinder noch klein waren, bin ich Wäsche waschen gegangen oder habe gekocht, wo immer es ging, doch ich konnte in Ruhe arbeiten und meine Kinder blieben friedlich zu Hause, auch wenn sie manchmal schmutzig waren. Doch jetzt, wo sie groß sind, muss ich manchmal nur hinter ihnen her sein. Ich habe noch nicht einmal mehr Zeit.

Es ist kein Geld da. Ich sorge für meine Kinder, doch ich habe es nicht geschafft, ich habe es nicht geschafft. (…) Mein Sohn ist schon 18. Er hat nur die Grundschule besucht und kann noch nicht einmal richtig lesen und schreiben. Das macht mir Sorgen. Ich habe ihn auf die Oberschule geschickt, doch er hat es nicht geschafft. Er hat es nicht zu nutzen verstanden, denn es ist niemand da, der ihm etwas gesagt hätte. Ich musste arbeiten, und es war niemand da, der ihn kontrollieren konnte. Und nun haben sie keine Bildung, weil ich es nicht schaffe, weil ich nichts habe. Ich verkaufe nur Essen, und der Verdienst reicht nicht aus. Ich verdiene 5, 6 Soles am Tag. Das reicht noch nicht einmal fürs Frühstück. Darum konnte ich nicht für ihre Bildung sorgen, und es war niemand da, der die Kinder lenkt. Wenn ihr Vater am Leben wäre (er war sehr strebsam), würde er seinen Kindern etwas beibringen. Bis heute weint meine Tochter, weil ihr Vater nicht mehr da ist. Sie würde sonst schon irgendetwas studieren. "Wo ist bloß mein Papa?" fragt sie weinend. Wir alle zu Hause haben geweint. Es ist sehr traurig, wenn kein Mann da ist, und vor allem die Kinder haben ein Trauma zurück behalten. Manchmal sind sie verständig, manchmal hören sie auf mich, doch manchmal reagieren sie störrisch und geben mir freche Antworten, und ich antworte ihnen genauso. Das was mir am meisten Leid tut ist, dass sie keine Bildung erhalten haben.

Mein jüngster Sohn hat sehr gelitten, weil ich ihn mitgenommen habe, um seinen Vater zu suchen. Vielleicht ist es deshalb, vielleicht ist es das. Manchmal weinte und weinte er, starrte vor sich hin und litt. Darum konnte der Junge wahrscheinlich die Möglichkeit zu lernen nicht nutzen. Er hat nicht gelernt. Manchmal vergisst er Dinge und fühlt sich dann schlecht. Er lernt nicht und kann schlecht Freundschaften schließen. Er ist nicht wie die anderen. Er geht nicht auf die Straße, doch Gott sei Dank ist er zu Hause. Und ich muss weinen, doch habe ihn nie sehen lassen, dass ich nachts weine.

Juli 2000



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Übersetzung aus dem Spanischen nach: "Die Stimmen der Verschwundenen" ("Las Voces des los Desaparecidos"), herausgegeben von der Defensoría del Pueblo (Ombudsman) von Peru, 2000, S. 16 ff.(1. Korrektur)


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