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Peru - Jahresbericht 2003

Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2002

Amtliche Bezeichnung: Republik Peru Staats- und Regierungschef: Alejandro Toledo Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft Internationaler Strafgerichtshof: Statut ratifiziert Nach wie vor trafen Berichte über Folterungen und Misshandlungen ein, ohne dass die dafür Verantwortlichen strafrechtliche Konsequenzen tragen mussten. In den Vorjahren zu Unrecht "terroristischer" Straftaten angeklagte Personen blieben inhaftiert. Auch die 1992 eingeführten Anti-Terrorismus-Gesetze, auf deren Grundlage zahlreiche Menschen nach unfairen Prozessen abgeurteilt worden sind, hatten weiterhin Rechtskraft. Verfahren gegen Angehörige der Sicherheitskräfte, die im Verdacht standen, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben, wurden weiterhin in die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit verwiesen.

Hintergrundinformationen

Im Berichtszeitraum ließen Meinungsumfragen eine weit verbreitete Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Wirtschaftspolitik der Regierung erkennen. Insbesondere Privatisierungspläne stießen auf Widerstand. Nach Massendemonstrationen sah sich die Regierung im April gezwungen, ihre Absicht, die Elektrizitätswerke der Stadt Arequipa teilweise zu privatisieren, vorläufig auf Eis zu legen. Bei den Demonstrationen kamen zwei Teilnehmer unter Umständen zu Tode, die darauf hindeuteten, dass die Sicherheitskräfte übermäßige Gewalt angewandt haben, um die Proteste niederzuschlagen. Im November fanden Regional- und Kommunalwahlen statt, die der Partei von Präsident Alejandro Toledo eine herbe Niederlage bescherten. Seine Partei konnte lediglich in einem der 25 Departements die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen, während die Alianza Popular Revolucionaria Americana, die Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Alan Garcia, in elf Departements den Sieg davontrug. Im ersten Amtsjahr von Alejandro Toledo zeichnete sich eine Verbesserung der Menschenrechtssituation ab. Die Regierung stellte 15 Millionen US-Dollar bereit, um Empfehlungen umzusetzen, die eine Sonderkommission für die Umstrukturierung der Nationalpolizei erarbeitet hatte. Die Kommission hatte unter anderem gefordert, auf allen Polizeistationen des Landes in eine verbesserte Infrastruktur zu investieren und die Anwerbung, die Aus- und Weiterbildung sowie die Professionalisierung von Polizeibeamten einer umfassenden Reform zu unterziehen. Unverständnis zog die Tatsache auf sich, dass Ende des Berichtsjahres der Posten des Ombudsmannes nach wie vor nicht dauerhaft personell besetzt war. Dessen Aufgaben wurden seit Februar 2001 von einem kommissarisch ernannten Amtsinhaber wahrgenommen. Kritiker äußerten ihren Unmut über den offenkundig fehlenden politischen Willen, das Amt eines wirklich effektiv wirkenden Ombudsmannes zu schaffen. Der Kongress hatte bis Ende des Berichtszeitraums seine Beratungen über eine neue Verfassung, die jene aus dem Jahr 1993 ablösen sollte, noch nicht abgeschlossen. In abgelegenen Flusstälern des Amazonasdschungels sollen kleine Einheiten der bewaffneten Oppositionsgruppe Sendero Luminoso weiterhin aktiv gewesen sein. Vermeintliche Mitglieder der Gruppe wurden angeklagt, wenige Tage vor dem Staatsbesuch von Präsident Bush im April in der Nähe der US-amerikanischen Botschaft in Lima neun Menschen getötet zu haben.

Tambogrande

Im Juni fand in der Gemeinde Tambogrande im nördlichen Departement Piura auf Initiative von Verwaltung und Bevölkerung hin eine Volksbefragung statt, bei der sich die Menschen mit überwältigender Mehrheit gegen den Mineralabbau in der Region durch ein kanadisches Bergbauunternehmen aussprachen. Die Behörden Perus hatten 1999 die Erlaubnis für private Investitionen in den dortigen Mineralabbau erteilt. Die örtliche Bevölkerung trieb die Sorge um, dass die Aktivitäten der Bergbaufirma Wasser und Bodenflächen verschmutzen und somit ihre Ernteerträge gefährden würden. Aus der Gegend stammen immerhin mehr als 40 Prozent aller in Peru erzeugten Mango- und Zitrusfrüchte. Die Behörden und das kanadische Unternehmen erklärten, nach Abschluss einer Umweltverträglichkeitsstudie eine Lösung des Streits herbeiführen zu wollen. Da die Studie jedoch von der Firma selbst in Auftrag gegeben und finanziert wurde, beklagten die Bewohner von Tambogrande ihren mangelnden Einfluss auf die Erstellung des Gutachtens und dessen Ergebnisse. Bis Ende des Berichtsjahres hatten die peruanischen Behörden noch keine Entscheidung gefällt, ob das Unternehmen seine Pläne zum Mineralabbau in Tambogrande weiter vorantreiben darf. Örtliche Aktivisten, die gegen das Projekt mobil machten, wurden mit dem Tode bedroht. Im Mai drohte ein anonymer Anrufer, er werde die 18-jährige Tochter eines prominenten Gegners des Mineralabbaus in Tambogrande entführen. Bereits im März 2001 war Godofredo Garcia Baca von einem Mann ermordet worden, der Berichten zufolge Geldforderungen gestellt hatte, was vordergründig ein kriminelles Motiv für die Tat nahe legte. Seine Familie und Mitaktivisten waren jedoch überzeugt, dass sein Tod mit seinem Einsatz gegen den Mineralabbau in Zusammenhang stand.

Die Kommission für Wahrheit und Versöhnung

Die Kommission für Wahrheit und Versöhnung, die im Jahr 2001 mit dem Auftrag eingesetzt worden war, die Umstände der von staatlichen Stellen und bewaffneten Oppositionsgruppen zwischen Mai 1980 und November 2000 verübten Menschenrechtsverstöße aufzuklären, führte im Berichtszeitraum mehrere öffentliche Anhörungen durch. Drei davon hatten schwerpunktmäßig die Anti-Terrorismus-Gesetze und die Frage ordnungsgemäßer Gerichtsverfahren, das Problem der Gewalt gegen Frauen sowie Vorfälle gewalttätiger Zusammenstöße an den Universitäten des Landes zum Gegenstand. Nach Angaben des Kommissionsvorsitzenden verfolgten die Anhörungen den Zweck, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, deren Leiden in den 80er und 90er Jahren hinter einer Mauer des Schweigens verborgen geblieben waren. Im November veröffentlichte die Kommission eine Liste mit 7000 Fällen zwangsweise verursachten "Verschwindens". Zeitgleich startete sie in Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen unter dem Motto "Damit ihr nicht vergesst" eine Kampagne, deren erklärtes Ziel es war, die bislang zusammengetragenen Informationen mit Blick daraufhin zu überprüfen, inwieweit zugunsten der Familien "verschwundener" Personen Vorschläge für Entschädigungsleistungen unterbreitet werden können. Der Abschlussbericht der Kommission wurde für das Jahr 2003 erwartet. Sie rief die Regierung bereits im Vorfeld auf, einen Ausschuss einzurichten, dem es nach Ablauf ihres eigenen Mandats obliegen sollte, die Umsetzung der Empfehlungen zu überwachen.

Massengräber

Im Berichtsjahr nahm die Untersuchung von Massengräbern, die seit 2000 in mehreren Provinzen Perus entdeckt worden waren, ihren Fortgang. Die Gräber sollen zwischen 1980 und Mitte der 90er Jahre angelegt worden sein. Die Exhumierung der darin verscharrten Leichen erfolgte durch peruanische und international tätige forensische Anthropologen und fand unter der gemeinsamen Aufsicht der Wahrheitskommission, der Generalstaatsanwaltschaft und des Ombudsmannes statt, um zu gewährleisten, dass die Ermittlungen effektiv verlaufen und nicht ausschlaggebende Beweise vernichtet werden. Seit 2000 sind in Peru vier Massengräber untersucht und 71 Leichen identifiziert worden. Menschenrechtsorganisationen riefen die Kommission für Wahrheit und Versöhnung auf, dafür Sorge zu tragen, dass bis zum Ablauf ihrer Amtszeit sämtliche gewonnenen Beweismittel den Justizbehörden zugänglich gemacht werden, damit die Verantwortlichen für den Tod der aus den Gräbern geborgenen Menschen vor Gericht gebracht werden können.

Folterungen und Misshandlungen

Folterungen und Misshandlungen stellten nach wie vor ein ernstes Problem dar. So trafen erneut Meldungen ein, denen zufolge vom Militär dienstverpflichtete junge Männer in den Einrichtungen der Streitkräfte Übergriffen ausgesetzt waren. Beunruhigen musste zudem die Tatsache, dass die Opfer wie auch ihre Familien und Zeugen der Vorgänge Einschüchterungsversuchen und Drangsalierungen ausgesetzt waren, die in einigen Fällen zur Folge hatten, dass letztlich auf strafrechtliche Schritte verzichtet wurde. Seitdem 1998 Folterhandlungen per Gesetz als Straftat definiert worden sind, haben sich in lediglich drei Fällen Angehörige der Sicherheitskräfte vor Gericht verantworten müssen.

Haftbedingungen

Das Gefängnis von Challapalca im Departement Puno blieb in Betrieb, obwohl mehrfach Forderungen laut geworden waren, es zu schließen. So haben Menschenrechtler und nicht zuletzt die Interamerikanische Menschenrechtskommission seit 1997 beharrlich darauf gedrungen, den Gefängnisbetrieb einzustellen, weil die dortigen Haftbedingungen derart hart waren, dass sie grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleichkamen. Bedingt durch die Lage der Strafvollzugsanstalt in mehr als 4600 Meter Höhe waren die Insassen in ihren Rechten, mit der Außenwelt wie etwa ihren Familienangehörigen, Rechtsanwälten und Ärzten in Kontakt zu bleiben, erheblich eingeschränkt. In dem Gefängnis saßen sowohl politische Häftlinge als auch wegen gewöhnlicher Straftaten verurteilte Personen ein. Im Berichtszeitraum traten in mehreren Hochsicherheitsgefängnissen des Landes aus politischen Gründen inhaftierte Insassen in den Hungerstreik, um eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen einzufordern und ihrem Protest gegen die Einweisung von politischen Gefangenen in die Strafvollzugsanstalt von Challapalca Ausdruck zu verleihen. Dorthin wurden im März mehr als 60 politischer Delikte für schuldig befundene Personen verlegt. Seit Amtsantritt von Präsident Alejandro Toledo im Juli 2001 haben die Behörden mindestens 90 politische Gefangene nach Challapalca verbracht. Dort saßen sie auch Ende des Berichtszeitraums nach wie vor ein, obwohl die Behörden versichert hatten, ihre Unterbringung in dem Gefängnis sei nur von vorübergehender Dauer.

Gewaltlose politische Gefangene

Zahlreiche gewaltlose und möglicherweise gewaltlose politische Gefangene, die zu Unrecht "terroristischer" Straftaten angeklagt worden waren, blieben inhaftiert. Eine im Innenministerium angesiedelte Sonderkommission, die den Auftrag hatte, die Fälle dieser Gefangenen zu überprüfen, kam mit ihrer Arbeit nur schleppend voran. Dies nährte Befürchtungen, dass der politische Wille fehlt, den Überprüfungsprozess zu beschleunigen und all jene Männer und Frauen freizulassen, die bereits mehr als fünf Jahre unter der vorgeschobenen Anklage des "Terrorismus" inhaftiert waren.

Politische Gefangene und die Anti-Terrorismus-Gesetze

Die 1992 eingeführten Anti-Terrorismus-Gesetze, auf deren Grundlage in den zurückliegenden Jahren Tausende Menschen in unfairen Prozessen abgeurteilt worden sind, blieben in Kraft, obwohl Menschenrechtler und die Interamerikanische Menschenrechtskommission zu einer Überprüfung der Gesetzesvorschriften aufgerufen hatten. Sie sehen vor, dass sich des Landesverrats angeklagte Personen vor Militärgerichten verantworten müssen, die weder als unabhängig noch als unparteiisch bezeichnet werden können. In einigen wenigen Fällen wurden von Militärgerichten verhängte Urteile später wieder aufgehoben und die betreffenden Gefangenen Gerichten der zivilen Justiz überstellt. Die US-amerikanische Staatsbürgerin Lori Berenson zählte zum Kreis derjenigen Personen, die im Jahr 2001 einen zweiten Prozess vor einem Gericht der zivilen Justiz erhielt. Sie wurde auf der Grundlage der Anti-Terrorismus-Gesetze zu 20 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Doch auch diesen Prozess bezeichnete die Interamerikanische Menschenrechtskommission als unfair. Sie begründete ihre Entscheidung insbesondere damit, dass gegen Lori Berenson die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung von 1992 Anwendung gefunden haben und in das zweite Verfahren keine anderen Beweise eingeführt worden sind, als sie auch schon dem Militärgericht in ihrem ersten Prozess 1996 vorgelegen hatten. Das damalige Urteil war später annulliert worden. Ende des Berichtszeitraums lag der Fall der US-Bürgerin dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Beratung vor. Hunderte politische Gefangene, die in den 90er Jahren von Militärgerichten in Schnellverfahren abgeurteilt worden waren, stellten Haftprüfungsanträge, um zu erwirken, dass ihre Strafen aufgehoben werden und sie einen neuen fairen Prozess erhalten. Einigen dieser Haftprüfungsanträge gaben der Verfassungsgerichtshof und andere Gerichte statt, was dazu führte, dass Ende des Berichtsjahres gegen eine Reihe von politischen Gefangenen Wiederaufnahmeverfahren vor Gerichten der zivilen Justiz anhängig waren.

Straffreiheit

Ein Ersuchen der peruanischen Behörden um Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Fujimori, dem in Peru unter der Anklage, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu sein, der Prozess gemacht werden sollte, hatte den japanischen Behörden aufgrund von Verzögerungen bei der Übersetzung des Ersuchens bis Ende des Berichtszeitraums noch nicht zugestellt werden können. Im Jahr 2001 hatte der peruanische Generalstaatsanwalt offiziell Anklage gegen den einstigen Staatschef erhoben, dem er die Verantwortung für einen 1991 in Barrios Altos in Lima begangenen Mord an 15 Personen sowie das "Verschwinden" und die Ermordung von neun Studenten und einem Professor der Universität La Cantuta 1992 ebenfalls in Lima zur Last legte. Im Berichtsjahr wurden sieben Mitglieder einer als Grupo Colina bekannten und dem peruanischen Geheimdienst nahe stehenden "Todesschwadron", die vermutlich hinter den genannten Verbrechen steckte, festgenommen. Im November nahmen die Behörden den Anführer der Gruppe in Haft, der seit 1995, als er und andere im Zuge einer Amnestie aus dem Gefängnis freigekommen waren, im Untergrund gelebt hatte. Zusammen mit seinen Mitangeklagten war er 1994 wegen des gewaltsam verursachten "Verschwindens" der neun Studenten der Universität La Cantuta und ihres Professors zu 20 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Ende des Berichtszeitraums befanden sich die festgenommenen Mitglieder der Grupo Colina unter der Anklage, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, weiterhin in Haft und warteten auf die Eröffnung ihres Gerichtsverfahrens. Der Prozess gegen Vladimiro Montesinos, den einstigen Geheimdienstberater von Präsident Fujimori, dauerte Ende 2002 noch an. Die Anklage legte ihm unter anderem Menschenrechtsverletzungen zur Last.

Update

Der Oberste Gerichtshof entschied im August, dass das Verfahren gegen 15 Militärangehörige, die angeklagt waren, Mitglieder der bewaffneten Oppositionsgruppe Movimiento Revolucionario Túpac Amaru (MRTA) extralegal hingerichtet zu haben, in die Zuständigkeit der Militärjustiz falle. MRTA-Guerilleros waren im Dezember 1996 in die Residenz des japanischen Botschafters in Lima eingefallen und hatten mehrere Personen in ihre Gewalt gebracht. Das Geiseldrama endete im April 1997, als der damalige Präsident Fujimori das Militär anwies, die Botschaftsresidenz zu stürmen. Dabei wurden alle 14 Geiselnehmer der MRTA getötet, was Vorwürfe aufkommen ließ, dass einige von ihnen möglicherweise extralegal hingerichtet worden sind.


Quelle: amnesty international Bochum (http://www.ruhr-uni-bochum.de/amnesty/Gruppen/Kontakt/kontakt.html)