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Öffentliche Anhörung der Wahrheitskommission in Huanta

1. Sitzung, Fall Nr. 4

Aussage von Mitgliedern der Familien Auqui Tenorio und Castillo García über die willkürliche Inhaftierung, das gewaltsame Verschwinden und die illegale Hinrichtung von ihren Angehörigen durch Armee, Polizei und sogenannte "Selbstverteidigungskomittees" in den Jahren 1980 bis 1985 in Huanta und Umgebung.

Teil 1: Aussage von Julia Castillo:

Danke, Herr Repräsentant, Herr Vorsitzender der Wahrheitskommission, alle anwesenden Damen und Herren. Ich heiße Julia Castillo. Mein Vater, Nicanor Castillo, der fünf Jahre lang unschuldig im Gefängnis saß, wurde am 10. Januar 1981 verhaftet. Die Polizei nahm ihn in Aisarca fest, auf der Hazienda Aisarca, weil der Besitzer von einer Gruppe von maskierten Männern getötet worden war, von einer Gruppe von Vermummten, die die Hazienda überfallen hatte. Mein Vater … wir wohnten in der Nähe der Hazienda Aisarca, an einer Seite, gleich nebenan. Da am Abend des 24. Dezember 1980 die ganze Zeit Schüsse und Lärm zu hören waren, war mein Schwager, der Mann meiner Schwester, an diesem Abend hingegangen, um nach dem Besitzer zu sehen. Mein Bruder war gerade bei meinem Vater. Er hat zu ihm gesagt: "Papa, wir haben den ganzen Abend Schüsse gehört. Bitte geh zur Hazienda Aisarca, um zu sehen, was mit Julio ist." Auch mein Sohn war losgegangen, um nach Julio zu sehen, und da sie es meinem Vater gesagt hatten, ging auch er, um zu sehen, was auf der Hazienda Aisarca los war. Und dort fand er den Besitzer der Hazienda tot auf dem Boden liegend und Andere an Stühle gefesselt und mit Kapuzen vermummte, bewaffnete Männer. Mein Vater sah den Schwiegersohn, Julio Morales. Der sagte zu ihm: "Bind mich los." Da wollte mein Vater zu ihm gehen, um ihm die Fesseln abzunehmen. Doch die vermummten Männer wollten nicht, sie haben nicht zugelassen, dass er in losmachte. "Verdammter Alter, du willst diesen Mann befreien? ... Sieh zu, dass du hinkommst, wo du hergekommen bist." Sie haben ihn gezwungen kehrtzumachen, und er konnte ihn nicht befreien. Doch dieser Julio Morales war ... Ich weiß nicht, er hatte etwas gegen mein Vater. Er hat gesagt, dass er gekommen sei und ihn getreten habe, das sagte er. Er hat gegen meinen Vater ausgesagt. Mein Vater hat nichts getan, er ist unschuldig, er ist nur hingegangen, um nachzusehen. ... Mein Vater erfuhr also, dass er auf der Liste der ... derjenigen stand, die den Überfall begangen haben sollten. Darauf ist er von sich aus zur Polizei gegangen. Er wurde vorstellig, um zu zeigen, dass er unschuldig ist. Da wurde er festgenommen. Die Polizisten brachten die nach Vilcas. Er war erst in Vilcas, dann schafften sie ihn hierher nach Huamanga.

Na ja, ich war zu der Zeit in Huamanga. Mein Vater kam und klopfte an meine Tür. Ich machte auf, und er stand mit einem Polizisten draußen. "Papa, was hast du getan", habe ich gefragt, "was machst du hier?" "Sie haben mich hergebracht, damit ich eine Aussage mache, weiter nichts", sagte er zu mir. Der Polizist sagte auch: "Dein Vater ist hier, um auszusagen, weiter nichts. Aber du musst auch mitkommen", hat er gesagt. Also ging ich mit zum Kommissariat, und im Kommissariat (Wechsel der Kassette) ...

Und da kamen die Söhne des Großgrundbesitzers und sagten: "Wie kann es sein, dass sie diesen Alten laufen lassen wollen. Er war dabei. Das ist der Alte, der unseren Vater umgebracht hat." Darauf haben sie ihn wieder eingesperrt. Und danach kam ein Polizist heraus und sagte zu mir: "Hör zu, wie viele Geschwister seid ihr?" Und ich sagte zu ihm: "Sechs." "Könnt ihr nicht zusammenlegen?", sagte er zu mir. Er wollte, dass wir ihm Geld geben. "Das geht nicht, meine Geschwister leben woanders", sagte ich, "sie sind nicht hier." "Also, dann morgen, denn dein Vater wird heute Nacht hier bleiben. Am besten bringst du ihm eine Wolldecke", sagte er.

Also ging ich nach Hause um ... um eine Wolldecke zu holen und gab sie ihm. Und am nächsten Tag brachten sie meinen Vater nach Cangallo, und später verlegten sie ihn nach Huamanga. Bei dem ... Überfall auf das Gefängnis blieb er zurück. Er wollte zeigen, dass er unschuldig ist. Klar, die anderen flohen, doch er blieb zurück ...

Sie brachten ihn im Hubschrauber nach Lima ins Gefängnis in Callao. Er war in Lima und dort isoliert von der Außenwelt. Ich reiste meinem Vater nach, in Sorge. Wie es ihm wohl geht? Hat er etwas zu essen, oder nicht? fragte ich mich. Ich ging hin, und sie ließen mich nicht zu ihm. Einen Block vorher standen Polizisten, schwer bewaffnet, doch sie ließen niemanden durch. Da flehte ich: "Bitte, lassen Sie mich durch. Ich muss meinen Vater sehen. Er ist krank. Wie es ihm wohl geht?", sagte ich zu ihnen. Fast mit Gewalt habe ich mir Durchgang verschafft. Doch in der Tür wiesen sie mich ab. Ich konnte ihm nur Kleidung und Essen dalassen, und musste gehen. Daraufhin haben wir uns zusammen mit den Verwandten der Gefangenen, der anderen Gefangenen, wissen Sie, organisiert, um Besuch durchzusetzen. Wir erreichten, dass wir sie besuchen durften, und als ich meinen Vater sehen durfte, ging es ihm sehr schlecht. Als ich ihn sah, spuckte er Blut. Da sagte ich zu ihm: "Papa, du bist krank. Ich werde dir Medizin, Medikamente kaufen." Und ich kaufte ihm die Medizin und gab sie ihm. Danach ... sagte mein Vater zu mir: "Julia, ich bin hier nur für kurze Zeit. Ich weiß nicht wann, aber sie werden mich ins Gefängnis El Frontón verlegen", hat er gesagt. Ach je, aber wann, wann würde das sein? Er wusste es nicht. Und dann haben sie ihn von einem Moment auf den anderen ins Gefängnis El Frontón verlegt.

Als ich das nächste Mal hinging, war er nicht mehr im Gefängnis Callao, sondern schon in El Frontón. Sie waren wieder von der Außenwelt abgeschnitten, erst in den Arrestzellen des Justizpalastes ... und dann in El Frontón. Wir, die Verwandten der Gefangenen, gingen hin. Wir mussten hart kämpfen, damit wir sie besuchen durften. Wir setzten auf Booten über, und mussten um 4:00 Uhr früh da sein, um mitzukommen. Da konnte ich ihn endlich sehen, ja, ich sah meinen Vater, er war dort. Na ja, und von dort verlegten sie ihn nach San Juan de Lurigancho, dann verlegten sie ihn ins Gefängnis San Jorge, und von dort wurde er im Dezember 1985 nach einem Freispruch entlassen. Nach fast sechs Jahren wurde er freigesprochen.

Während mein Vater im Gefängnis war, haben sie meinen Bruder Marino Castillo in Parcco verschwinden lassen. Er war Gemeindevorsteher, und die Militärs in Vilcashuaman zwangen immer alle Dörfer, etwas in ihrem Lager abzuliefern: Fleisch, Röhricht, was auch immer. Wenn einer nichts ablieferte, war er für sie ein Terrorist. Aus Angst sahen sich die Leute gezwungen, etwas hinzubringen. Alle Dörfer in der Gegend lieferten Sachen ab. So war auch mein Bruder einmal um 5 Uhr früh unterwegs, um Röhricht hinzubringen, und auf dem Weg traf er eine Gruppe Polizisten. Die Polizisten forderten ihn auf, nach Parcco zurückzukehren, und dort schlugen sie die Kirchenglocke und holten alle, sämtliche Bewohner des Dorfes aus ihren Häusern, und dann quälten sie sie, sie quälten sie sehr hässlich. Und danach nahmen sie meinen Bruder Marino mit, sie nahmen eine Frau Juana Ramirez mit ihren kleinen Sohn, mit ihrem Baby auf dem Rücken mit, dann Salomón Castro, und viele mehr haben sie mitgenommen.

Die Frau meines Bruders sagte: "Lasst meinen Mann hier. Warum nehmt ihr meinen Mann mit?" "Nein, nein, er hilft mir nur, den Rucksack zu tragen, ich schaffe es nicht. Er muss tragen helfen", sagten sie und nahmen ihn mit. Und seine Frau lief ihnen nach ... "Er wird nicht umkehren, weil du im folgst", sagten sie. "Nicht, Papi", so auch der kleine Sohn meines Bruders, "Papi, warum? Lass ihn hier", sagte er und flehte den Soldaten an. Der antwortete: "Nein, nein, er wird gleich wieder freigelassen, er kommt wieder zurück", sagte er und nahm ihn mit.

Er ist nicht wieder zurückgekommen. Mein Bruder ist niemals zurückgekommen. Wir wissen nichts über ihn. Und als sie nach einem Tag hingingen, ich glaube, da sind sie hin, wurde seiner Frau gesagt, du hast Geld, bezahl mich. Doch sie hat nicht gezahlt, und danach ist sie noch einmal hin, da wusste niemand etwas mehr über ihn. Nichts, niemand. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist.

Danach im Jahr 1984, am 1. Februar, töteten, ermordeten sie auch meine Mutter, Fortunata García de Castillo, die Frau meines Vaters. Um 8:00 Uhr früh kamen etwa zehn Militärs. Sie drangen ins Haus meiner Mutter ein und ergriffen sie, schafften sie in ein Zimmer und folterten sie, und meinen Bruder Luis Castillo schlossen sie in ein anderes Zimmer ein. Bei ihm war sein Sohn Luis Castillo, der Enkel. Sie hatten alle zusammen gefrühstückt, als sie kamen. "Ah, hier sind die Terroristen. Verfluchte Alte, du gibst ihnen Frühstück." Und zu allem Unglück floh ein junger Mann, als er die Soldaten sah. Er ist entkommen. "Das war er, das war der Terrorist, der abgehauen ist", sagten sie und griffen sich meine Mutter, sperrten sie in ein Zimmer und quälten sie. (Beginnt zu weinen.) Sie erschossen sie. Was sie ihr alles angetan haben! Sie folterten sie und alles, und mein Bruder, der im anderen Zimmer eingeschlossen war, hat die Schüsse gehört und alles, was sie sagten. "Verfluchte Alte, Terroristin, ich bring dich um, sag die Wahrheit." Meine Mutter sprach kein Spanisch, nur Quechua. Sicher sprach der Militär nur Spanisch. Spanisch, Quechua, die beiden verstanden sich nicht. Er hielt es für besser, meine Mutter zu töten. Er brachte meine Mutter um. Sie trugen sie nach draußen, und das, obwohl sie das Haus in Brand steckten. Und dann haben sie ihre Leiche ins Tal mitgenommen. Sie haben sie verschwinden lassen. In Stücke gesprengt haben sie sie. Und dann haben sie sie verschwinden lassen. Wir wissen nichts über meine Mutter. Die Soldaten blieben den ganzen Tag. Sie haben bei mir Zuhause alles gemacht, was ihnen in den Sinn kam. Sie haben das Haus, alles niedergebrannt. Wir hatten Schweine, Rinder. Sie haben alles nieder gebrannt und das Vieh geschlachtet. Sie scheuten sich nicht, es vor den Augen meines Bruders zu essen. Dann haben sie meinen Bruder als Gefangenen mitgenommen, doch auf halbem Weg konnte er fliehen. Er konnte entkommen. Es war schon dunkel. Und danach wurde auch er gesucht.

Damals haben sie meine Mutter umgebracht. Sie haben ihre Leiche verschwinden lassen. Man weiß nichts von ihr, wir wissen nichts. Nach 15 Jahren bin ich hin, um nach ihr zu suchen. Warum nicht früher? Als meine Mutter getötet wurde, bin ich nicht hin, um nach ihr zu suchen, weil man auch mir gesagt hatte, sie suchen nach dir, fahr nicht mehr hin. So sagte man mir damals. Darum bin ich nicht hin, denn ich kümmerte mich um meinen Vater, und aus diesem Grund bin ich nicht mehr hingefahren. Ich kam nach Lima, und kannte nichts. Ich kannte mich nicht aus, ich kam an, und kannte nichts, also ... Meine Mutter war eine sehr gute Frau, sehr liebevoll. Wie gerne hätte ich meine Mutter beerdigt. Warum meine Mutter? Warum mussten sie meine Mutter umbringen, unschuldig, unwissend, behindert, sie hatte Schwierigkeiten beim Gehen, und sie haben sie umgebracht.

Als ich nach 15 Jahren hinfuhr - ganz hier in der Nähe haben sie meine Mutter umgebracht - haben wir Spuren von Fett gefunden, wir fanden ein Stückchen Knochen. Hier ist sie begraben, sagte man mir. Ich habe geweint, es hat mich sehr mitgenommen.

Danach im Jahr 1986 haben sie schließlich auch meinen Bruder Lucho ... Luis Castillo, der, der auf dem Weg geflohen war, bei dem Massaker in Parcco und Pumatambo zusammen mit den 13 Bauern umgebracht, die dort starben, die alten Leute, die Kinder, alle, und man weiß nichts über die Leichen. Sie verbrannten alles. Ich weiß nicht, was sie mit ihnen gemacht haben. Sie ließen die Reste verschwinden. Wir wissen nichts, meine Damen und Herren der Wahrheitskommission. Deshalb verlangen wir, dass man uns anhört, dass wir Gerechtigkeit erhalten, denn es gab weder Gerechtigkeit in den Zeiten von Belaúnde, noch in den Zeiten von Alan Garcia, es gab nur all die Gewalt, nichts als Gewalt. Dank der Menschenrechte, durch sie gibt es endlich Frieden. Und diejenigen, die wir aus Ayacucho sind, wurden als Terroristen bezeichnet. "Terroristen aus Ayacucho", nannte man uns auch in Lima. Wir hatten Angst zu reden, Anzeige zu erstatten. Ich habe keine Anzeige erstattet. Nur das mit meiner Mutter habe ich angezeigt, denn ich hatte große Wut. Ich war sehr zornig auf diese Militärs, die meine Mutter umgebracht haben, denn sie haben sie ohne jeden Grund getötet. Was hatte ihnen meine Mutter getan? sagte ich mir, und erstattete Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft. Doch danach habe ich die Sache nicht weiterverfolgt, aus Angst habe ich sie nicht weiterverfolgt, meine Damen und Herren.

Ich möchte, dass mir jemand zuhört, ich will, dass die Schuldigen bestraft werden. (Weint.) Weil mein Vater im Gefängnis war, ist er heute krank, er gab mir …, das heißt, er kann nicht sprechen, er hat Schwierigkeiten zu sprechen. Darum gab er mir diese Botschaft mit: "Ich möchte der Kommission sagen, dass ich ein unschuldiger Mann bin." Mein Vater hat nie etwas Böses getan, die Anschuldigungen waren eine reine Lüge. "Der Herr Benigno Medina war der Pate meiner Kinder und ... und wir kamen gut miteinander aus. Darum ist es eine Lüge. Ich war fünf Jahre im Gefängnis, sogar in El Frontón war ich, und ich habe meine Familie verloren. Die Justiz hat mich für unschuldig erklärt, doch sie haben meine Frau und meine Kinder getötet." Das ist die die Botschaft, die mein Vater überbringen wollte, und ich lese sie an seiner Stelle. Danke.



Quelle: Homepage der Wahrheits- und Versöhnungskommission: http://www.cverdad.org.pe/

Übersetzung aus dem Spanischen: MPP-A (1. Korrektur)


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