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"Was passiert ist, werden wir unser Leben lang mit uns herumschleppen."



Interview mit Nora Quispe Ccallacunto

Nora Quispe Ccallacunto ist 19 Jahre alt und lebt in Huamanga, Ayacucho. Wie viele Peruaner hat sie am eigenen Leibe die Folgen der politischen Gewalt erfahren. Ihre Mutter Guadalupe Ccallacunto verschwand 1990 nach einer langen Suche nach ihrem Ehemann, dem Vater von Nora, Eladio Quispe Mendoza, der 1983 verschwand.

Nora, erzähl uns, wann deine Mutter verschwand.

Meine Mutter verschwand am 10. Juni 1990.

Wie ist das passiert?

In jener Nacht drangen mehrere Soldaten mit Skimasken und Turnschuhen in unser Haus ein. Sie durchsuchten das Haus, bis sie schließlich zum Zimmer meiner Mutter gelangten. Sie nahmen sie mit. Alles ging sehr schnell. Sie erlaubten noch nicht einmal, daß sie sich anzog. Sie war im Nachthemd und barfuß.

Wo geschah das?

Das war in unserem Haus, wo ich bis heute wohne, in Huamanga.

Und was habt ihr gemacht?

Sie erlaubten nicht, daß wir mitkamen, um ihr zu helfen ... Sie ließen niemanden nach draußen, um zu sehen, was passierte, wohin sie sie brachten, doch es war eine Militärpatrouille. Hinterher erfuhren wir, daß sie ins Polizeikommissariat geschafft wurde. Die Leute, die auf dem Markt arbeiten und die Nacht dort verbringen, erzählten uns, daß sie gesehen haben, wie sie dort hinein geführt wurde. Am nächsten Tag gingen wir zum Kommissariat und fragten nach ihr, doch man antwortete uns, sie sei nicht dort. Dann gingen wir zur Kaserne "Los Cabitos", und auch dort erhielten wir die Antwort, man wisse von nichts. Überall war es das gleiche.

Wie alt warst du, als sie deine Mutter mitnahmen?

Ich war acht Jahre alt, die jüngste von vier Geschwistern. Meine Tanten übernahmen es, nach ihr zu suchen. Sie erstatteten Anzeige und reichten Dokumente beim Gericht dort und in Lima ein.

Was war die Antwort?

Sie bestritten alles. Uns wurde gesagt, daß meine Mutter nicht von den Militärs verschleppt wurde.

Und was habt ihr noch unternommen?

Wir haben sie weiter gesucht. Wir erhielten Hilfe von der Stelle, wo meine Mutter arbeitete (SERPAC), denn es handelte sich um eine internationale Organisation. Nach längerer Zeit kamen wir in Kontakt mit APRODEH, als die Wahrheitskommission gegründet wurde. Bis dahin hat uns niemand zugehört. Wir konnten nichts machen. Ein Cousin von uns wurde verhaftet, als er Erkundigungen anstellte.

Hast du nach so langer Zeit eine Vorstellung, warum sie deine Mutter mitnahmen?

Ich weiß es bis heute nicht ... Woran ich mich erinnere, ist, daß ich noch sehr klein war, und als ich so viele Soldaten sah, war das Einzige, was ich machen konnte, zu weinen. Sie erlaubten nicht, daß ich mit ihr ging. ...

Hattet ihr irgendwann Hinweise, wer sie verschleppt hat?

Mein Vater wurde auch verschleppt ... das war 1983. Daraufhin nahm meine Mutter die Suche nach ihm auf. Sie begann bei der SERPAC zu arbeiten. Sie begann, soziale Arbeit zu machen.

Wie hieß dein Vater?

Eladio Quispe Mendoza.

Erinnerst du dich, was mit ihm passiert ist?

Das mit meinem Vater passierte, als ich ein Jahr alt war. Ich erinnere mich nicht daran, doch man mir erzählt, daß es auf der Straße passierte, auf dem Hauptplatz von Ayacucho. Es gab mehrere Zeugen, denn es geschah am Vormittag, vor aller Leute Augen.

Was geschah mit dir und deinen Brüdern, nachdem deine Eltern verschwanden?

Wir sind vier Geschwister, und nachdem meine Mutter starb, blieben wir allein zurück. Unsere Angehörigen kümmerten sich um uns, unsere Tante, mein Pate, doch das ist nicht dasselbe. Wenn die Eltern nicht da sind, ist es anders. Viele Möglichkeiten waren uns versperrt. Wir konnten nicht studieren, es war schwierig. In Ayacucho arbeiteten meine Geschwister und ich in allem, was wir bekommen konnten, um unseren Lebensunterhalt zu finanzieren. ... Wenn sie bei uns gewesen wären, wäre das anders gewesen. Was passiert ist, werden wir immer mit uns herum schleppen, doch wir haben versucht, irgendwie zurecht zu kommen.

Angesichts dessen, was mit deinen Eltern passiert ist, was erwartest du von der Wahrheitskommission?

Wir erwarten Aufklärung. Es sind 11 Jahre vergangen, und wir wissen nichts über unsere Eltern. Wir wissen noch nicht einmal, ob sie tot oder am Leben sind. Nach so langer Zeit glaube ich nicht, daß sie noch am Leben sind. Doch zumindest wollen wir wissen, wo sie begraben liegen.

Und was sagen deine Geschwister dazu?

Wir haben mit meinen Geschwistern viel darüber geredet. Wir wollen wissen, wieso das alles passiert ist. Wir wollen eine Erklärung, versuchen, sie zu finden, um ihnen einen Platz zu geben, wo sie in Frieden ruhen können ... Wir haben die Hoffnung, daß wir Aufklärung erhalten, Antworten auf die vielen offenen Fragen.

Was würdest du gern machen?

Wir würden gern studieren, später mal eine berufliche Karriere einschlagen. ... Wenn man keinen Abschluß vorweisen kann, ist es schwierig, etwas zu werden.



Quelle: Asociación Pro Derechos Humanos (Peru)


Übersetzung aus dem Spanischen: Volksbewegung Peru in Deutschland (MPP-A).

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