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KLAGE GEGEN DIE ANTITERRORISMUSGESETZGEBUNG DES PERUANISCHEN STAATES VOR DER MENSCHENRECHTSKOMMISSION DER OAS WEGEN DES VERSTOSSES GEGEN DEN PAKT VON SAN JOSÉ

(21. Februar 2003)

Zusammenfassung


Gegenstand der Klage

Gegenstand der Klage ist der Bestand eines Rechtssystems, das ab Mai zur Bekämpfung des bewaffneten Aufstandes eingeführt wurde und gegen Grundrechte verstößt, die sowohl durch die peruanische Verfassung, als auch durch internationale Abkommen, darunter die Amerikanische Konvention für Menschrechte, garantiert werden. Dieses diente dazu, gegen Tausende von Peruanern mittels Schnellverfahren vor Sondergerichten drakonische Strafen zu verhängen, die gegen das Prinzip der Proportionalität verstoßen, und sie langfristig unter vollkommen menschenunwürdigen Bedingungen in Haft zu halten.


Die Antiterrorismusgesetzgebung und ihre Vorgeschichte

1) Der interne Krieg und die aktuelle Lage in Peru.
Ab Mai 1980 fand in Peru ein interner Krieg statt. Auf der einen Seite stand die (Kommunistischen Partei Perus), die laut ihren Dokumenten die politische Macht für die Arbeiterklasse und das Volk anstrebte, um die Ausbeutung, Unterdrückung, Armut und Rückständigkeit der peruanischen Gesellschaft zu beenden, auf der anderen Seite der peruanische Staat, repräsentiert durch unterschiedliche Regierungen, die eine Politik der blutigen Repression und des Völkermords anwandten, verbunden mit politischer Verfolgung, willkürlichen Verhaftungen, Folter, illegalen Hinrichtungen, Massenmorden, das Auslöschen ganzer Dörfer und dem zwangsweisen Verschwinden von Tausenden von Menschen. Diese Verbrechen sind bis heute weder vollständig untersucht noch bestraft worden.

Mit der Verhaftung des Dr. Abimael Guzmán Reinoso und anderer Führer der PCP am 12. September 1992 wurde die PCP entscheidend geschwächt, und es gab eine politische Wende im internen Konflikt. Daraufhin schlug der Führer der PCP, Abimael Guzmán Reinoso, der peruanischen Regierung Friedensverhandlungen vor, die jedoch zu keinem Ergebnis führten, da die damalige Regierung Fujimori es vorzog, die aktiven Überbleibsel der aufständischen Gruppen zum Vorwand für die Fortführung ihrer antisubversiven Politik zu nehmen, um sich an der Macht zu halten und sich persönlich zu bereichern, auch wenn damit weiteres, unnötiges Blutvergießen verbunden war.

Derzeit gibt es noch einige Überreste des bewaffneten Konflikts, die jedoch kaum eine Bedrohung für den Staat darstellen, jedoch von der Regierung hochgespielt werden, um ihre Politik der Repression aufrecht zu erhalten und sich einer politischen Lösung zu widersetzen.

2) Der Staatsstreich vom 5. April 1992 und der Abbau des Rechtsstaates.
Am 5. April 1992 verübte der damalige Präsident Alberto Fujimori einen Staatsstreich, bildete mittels des Dekrets 25418 eine so genannte Notstandsregierung, setzte die Verfassung außer Kraft und begann mit Dekreten der Exekutive zu regieren. Mit diesem Gewaltakt verlor die Regierung jede demokratische Legitimation, ungeachtet dessen, dass sie aus ursprünglich aus Wahlen hervorgegangen ist. Ab Mai 1992 führte die Diktatur eine neue Antiterrorismusgesetzgebung ein. Sie erließ das Dekret 25475, mit dem sie unter anderem die lebenslängliche Haftstrafe, sowie die anonymen Richter und Gerichte "ohne Gesicht" einführte, mit denen das Recht auf einen fairen Prozess vor einem ordentlichen, unabhängigen und unparteiischen Gericht außer Kraft gesetzt wurden. Es folgten das Dekret Nr. 25499, das so genannte "Reuegesetz", durch das ein Verhafteter fast immer unter Folter, die Möglichkeit erhielt, sich durch die Angabe der Namen anderer Personen freizukaufen, Dekret Nr. 25659 vom 13. August 1992, mit dem das Delikt des "Landesverrats" geschaffen und die Zuständigkeit der Militärgerichte für Zivilpersonen eingeführt wird, das Dekret Nr. 25708, das es unter anderem ermöglicht, des Landesverrats Angeklagte im Schnellverfahren ohne ordentliche Beweisaufnahme abzuurteilen, das Dekret 25728, das die Verhandlung und Verurteilung in Abwesenheit etabliert, das Dekret Nr. 25744, das u. a. die Polizei berechtigt, Festgenommene unbefristet in Gewahrsam zu behalten, das Recht auf Verteidigung beschränkt (ein Anwalt kann nicht mehr als einen Angeklagten vertreten) und einen Freibrief für den Diebstahl und die Plünderung des Besitzes der Beschuldigten erteilt, das Dekret Nr. 25880, durch das Lehrer, die "ihren Schülern zu Terrorakten aufrufen", sich des "Landesverrats" schuldig machen und das Dekret Nr. 25916, das die fehlende Berechtigung auf Haftverkürzung und vorzeitige Entlassung ausdrücklich bestätigt. Diese Gesetze verstoßen nicht nur gegen die damals geltende Verfassung von 1979, sondern auch gegen die Verfassung von 1993, sowie gegen die Amerikanische Menschrechtskommission. Auf diese Art wurde die bestehende Rechtsordnung systematisch unterhöhlt.

Auf der Grundlage dieser Gesetzgebung wurden Tausende von Peruanern als angebliche "Terroristen" willkürlich verhaftet, von Zivil- oder Militärgerichten mit anonymen Richtern in nichtöffentlichen Schnellverfahren des "Terrorismus" oder des "Landesverrats" angeklagt, zu vollkommen übertriebenen Strafen verurteilt, die bei der überwiegenden Mehrheit bei über 10 Jahren, in vielen Fällen bei über 15 Jahren bis hin zu lebenslänglicher Haft liegt.

Derzeit gibt es noch rund 2300 politische Gefangene in verschiedenen Gefängnissen des Landes, die Opfer dieser Gesetzgebung sind. Aus diesem Grunde präsentierte die "Bewegung für die Kontrolle über die Verfassung" am 15. Juli 2002 einen von 5352 Bürgern unterzeichnete Verfassungsbeschwerde gegen die Dekrete 25475, 25659, 25708 und 25880.

Das Urteil des Verfassungsgerichts

Das Verfassungsgericht gab am 5. Januar 2003 sein Urteil ab, das mit seiner Veröffentlichung am nächsten Tag rechtskräftig wurde. Darin stuft es Teile des Dekrets 25880 über "Apologie des Terrorismus", sowie die lebenslängliche Haftstrafe als antikonstitutionell ein, und fordert den Gesetzgeber auf, letztere zeitlich zu begrenzen. Ferner erklärt es die Artikel 1, 2, 3, 4, 5 und 7 des Dekrets 25659, das das Delikt des "Landesverrats" definierte, sowie die Artikel 1, 2 und 3 des Dekrets 25708, das eine Zusatzregelung zum Dekret 25659 über die Zuständigkeit von Militärgerichten für Zivilisten enthält, für verfassungswidrig. Damit ist das Delikt des "Landesverrats" aus dem Strafgesetzbuch verschwunden. Daraus folgt laut der peruanischen Verfassung (Art. 103) und dem Strafgesetzbuch (Art. 7) die Annullierung aller Verfahren und Urteile auf der Grundlage dieses Gesetzes.

Doch anstatt die sofortige Freilassung der betreffenden Häftlinge anzuordnen, entschied das Verfassungsgericht, dass es ein "gesetzliches Vakuum" gäbe, da der Tatbestand des "Landesverrats" identisch sei mit dem des "Terrorismus", der in dem Dekret 25475 definiert ist, und ordnete an, die Aufhebung der Verfahren auszusetzen, bis der Gesetzgeber entsprechende Gesetze erlassen hat. Zudem erklärte das Gericht in einer Resolution vom 6. Januar 2003 die Habeus-Corpus-Aktionen, mit denen die Häftlinge unter Berufung auf das Urteil ihre Freilassung verlangen, für unzulässig und warnte die Richter, dass sie sich der Rechtsbeugung schuldig machen, wenn sie ihnen stattgeben.

Das Herzstück des Dekrets 25475, in dem der Tatbestand des "Terrorismus" definiert wird, erklärt das Gericht für verfassungskonform.

Über andere verfassungswidrigen Normen der in Frage stehenden Gesetze, wie die unbefristete Kontaktsperre während der polizeilichen Untersuchung, die Praxis der anonymen Richter, die Beschneidung des Rechts auf Verteidigung und die Beschränkung der freien Berufsausübung der Anwälte, äußert sich das Verfassungsgericht in seinem Urteilsspruch nicht und begründet dies damit, dass diese vom Gesetzgeber bereits abgeschafft worden sind.

Einwände gegen das Urteil des Verfassungsgerichts

Das Verfassungsgericht geht in keiner Weise auf die grundsätzliche Frage ein, dass alle politischen Akte der Regierung Fujimori nach dem Staatsstreich vom 5. April 1992 nichtig waren, da laut der peruanischen Verfassung (Art. 82) niemand einer unrechtmäßig an die Macht gekommenen Regierung Gehorsam schuldet und alle ihre Maßnahmen rechtlich keine Gültigkeit haben, was auch beinhaltet, dass sie keinerlei gesetzliche Legitimation hatte, diese und andere Dispositionen der Verfassung außer Kraft zu setzen (Art. 397).

Die Aufhebung der lebenslänglichen Haftstrafe wird zu einer Farce, wenn das Verfassungsgericht gleichzeitig vorschlägt, sie auf 30 Jahre zu begrenzen und dann eine Revision vorzunehmen. Die Regierung erließ daraufhin am 17.1.03 das Gesetz 921, das vorsieht bei einer lebenslänglichen Haftstrafe nach 35 Jahren, die Möglichkeit der Entlassung des Gefangenen zu prüfen, und im Fall einer Ablehnung diese Überprüfung im Jahresabstand zu wiederholen. Dieses Gesetz widerspricht der Urteilsbegründung des Verfassungsgerichts selbst, in der es die lebenslängliche Haftstrafe als unmenschlich verurteilt. Außerdem verstößt sie gegen peruanische Gesetze und gegen den Artikel 5 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, die vorschreiben, dass das Ziel einer Haftstrafe die soziale Rehabilitation des Gefangenen ist. Außerdem wird auf diese Art eine Strafe wieder eingeführt, die bereits durch eine frühere Verfassungsbeschwerde der Defensoría del Pueblo aus dem Strafgesetzbuch verschwunden war. Wenn man außerdem bedenkt, dass die so genannten "Hochsicherheitsgefängnisse" von ihrer Infrastruktur her auf die körperliche und psychische Vernichtung der Insassen angelegt sind, so wird deutlich, dass hinter diesem Gesetz sozialer Hass und Revanchismus steht.

Das so genannte "gesetzliche Vakuum" mit dem das Verfassungsgericht die sofortige Annullierung der Prozesse wegen "Landesverrats" und die Freilassung der Betroffenen verhindert, existiert in der peruanischen Rechtsprechung nicht und wird durch die Verfassung (Art. 204) ausdrücklich ausgeschlossen. Die Anweisung, Habeus-Corpus-Aktionen der Häftlinge, die aufgrund der verfassungswidrigen Gesetze weiterhin in Haft sind, abzulehnen, verstößt gegen das Recht auf den Schutz des Gesetzes, das in der peruanischen Verfassung (Art. 200) und in der Amerikanischen Konvention für Menschenrechte (Art. 7 und 25) festgeschrieben ist. Wenn außerdem die Annullierung der Prozesse ausgesetzt wird, bis die Regierung die Gesetze geschaffen hat, um die Häftlinge weiterhin festhalten zu können, verletzt dies den Rechtsgrundsatz, dass ein Gesetz nicht rückwirkend angewendet werden kann, der sowohl in der Verfassung (Art. 2, 20 d), als auch in der Konvention von San José (Art. 9) verankert ist. Das gleiche gilt für die nachträgliche zeitliche Begrenzung der lebenslänglichen Haftstrafe auf 35 Jahre.

Mit der Entscheidung, dass der Tatbestand des "Landesverrats" durch den des "Terrorismus" abgedeckt sei und folglich eine Freilassung der Verurteilten nicht zulässig sei, maßt sich das Verfassungsgericht außerdem ein Interpretationsrecht an, das ihm nicht zusteht, denn in Peru sind laut Verfassung und Gesetzgebung seine Befugnisse darauf beschränkt, zu entscheiden, ob ein in Frage gestelltes Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht, während es dem Kongress zukommt, Gesetze zu erlassen und zu interpretieren.

Außerdem verstößt das Dekret 25475 selbst gegen die peruanische Verfassung. In ihm wird der Tatbestand des "Terrorismus" auf eine derart vage Art definiert, dass er auf jede Art des sozialen Kampfes oder politischer Opposition angewandt werden kann. Es reicht aus, "öffentliche Unruhe, Chaos oder Angst in der Bevölkerung oder einem Teil der Bevölkerung zu provozieren", damit der Tatbestand des Terrorismus erfüllt ist, der mit einer Mindeststrafe von 20 Jahren Gefängnis geahndet wird.

Dasselbe Gesetz setzte mit der Einführung der "maskierten" Richter die Garantien für einen öffentlichen Prozess vor einem ordentlichen, unabhängigen und unparteiischen Gericht außer Kraft. Der entsprechende Artikel wurde zwar durch das Gesetz 26671 abgeschafft. Doch die anonymen Gerichte wurden durch die Sondergerichte für Terrorismus ersetzt, womit zwar die Zuständigkeit wieder die Zivilgerichtsgerichtsbarkeit wiederhergestellt wurde, aber diese Spezialgerichte erfüllen nach wie vor nicht die Normen des nach regulärem Recht zuständigen Gerichts, wie bereits die Menschrechtskommission der OAS in ihrem Bericht "Terrorismus und Menschenrechte" feststellte. Ungeachtet dessen legte die peruanische Regierung diese Regelung mit dem Gesetz 922 vom Januar 2003 gesetzlich fest und schränkte zudem das Recht auf einen öffentlichen Prozess ein.

Ferner setzte das Gesetz 25475 die Unschuldsvermutung außer Kraft, indem sie die Eröffnung eines Verfahrens und Untersuchungshaft unter verstärkten Sicherheitsmaßnahmen zwingend vorschrieb. Hinzu kam die Beschneidung des Rechts auf Verteidigung, indem dem Beschuldigten und seinem Anwalt die Auskunft über die konkreten Tatbestände der Anklage, Akteneinsicht, die Befragung von Belastungszeugen und die Revision des Urteils durch eine unabhängige höhere Instanz verweigert wurde. Daneben schließt das Gesetz jede Art der im Strafgesetzbuch vorgesehenen Formen vorzeitiger Haftentlassung aus, eine Regelung, die weiterhin in Kraft ist. Diese Sonderbehandlung während der polizeilichen Untersuchung, im Verlauf des Prozesses, der Untersuchungshaft und späteren Haftstrafe verletzt das Gleichheitsprinzip vor dem Gesetz.

Indem das Gericht einer Entscheidung über diese Verstöße gegen die Verfassung ausweicht, weil der größte Teil der entsprechenden Gesetze bereits vom Gesetzgeber abgeschafft worden sind, vergisst es, dass es Tausende von Opfern dieser illegalen Normen gibt. Damit unterstützt es stillschweigend die daraus resultierenden Praktiken wie Folter, erzwungene Geständnisse, die Verfolgung der Anwälte politischer Gefangener oder Geheimprozesse mit anonymen Belastungszeugen, nicht offen gelegten Beweisen und anonymen Richtern, die vom Gesetz angehalten sind, auf jeden Fall einen Schuldspruch zu fällen. Die kürzlich erlassenen Gesetze, mit denen die Gesetzgebung angeblich an internationale Standards angepasst werden soll, verfügen u. a. die volle Anerkennung der aus dieser illegalen Praxis hervorgegangenen polizeilichen Untersuchungsberichte und Beweise, die in den neuen Prozessen vor Sondergerichten nicht kritisch, sondern nach persönlichen Ermessen von Richtern bewertet werden sollen, die von vornherein darauf abzielen, den Beschuldigten zu verurteilen.

Das Urteil des Verfassungsgerichts und die daraus folgende Rechtspraxis verstoßen gegen die folgenden, in der peruanischen Verfassung und in der Menschenrechtskonvention von San José verankerten Grundrechte:
Die Verpflichtung die Grundrechte zu respektieren, die Verpflichtung, interne Rechtsgrundsätze anzuwenden, das Recht auf Leben und Gesundheit, das Recht auf persönliche Freiheit, die Rechtsgarantien für ein faires Gerichtsverfahren, das Prinzip der Legalität und der rückwirkenden Anwendung von Gesetzen, die den Häftling begünstigen, die Ideen- und Meinungsfreiheit, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf den Schutz des Gesetzes und auf einen ordnungsgemäßen Prozess vor einem ordentlichen Gericht.

Unterzeichner:
Marcelino Tineo Sulca
Walter Humala Lema
Alberto Mego Márquez
María Salazar Pino
Manuel Augusto Fajardo Cravero (Rechtsanwalt)