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Der Fluss Huallaga, ein riesiges Massengrab

Zulma Peņa Melgarejo

August 2005


Ich bin allein erziehende Mutter und stamme aus Tingo Maria. Ich habe zwei Kinder im Alter von sechs und acht Jahren. Ich wurde am 18. Mai 1996 im Alter von 23 Jahren verhaftet, vergewaltigt und auf vielfache Weise gefoltert. Ich war Zeugin der Ermordung und des Verschwindens vieler Bauern durch die Streitkräfte des peruanischen Staates in unseren Urwaldgebieten. Wie kann ich all das aus meinem Gedächtnis tilgen, wo die Wunde immer noch offen ist wie die des Blutbaums, der stumm weint, wenn ihm zutiefst perverse Personen mit Macheten Hiebe versetzen, ohne zu merken, dass sie tiefen Schmerz verursachen? Es gibt viele Augen, die gesehen habe, worüber ich berichten werde, und die Erinnerung Vieler, die es niemals vergessen werden. Heute befinde ich mich im Hochsicherheitsgefängnis Chorrillos in Haft.

Ich lebte mit meinen kleinen Kindern in der Ortschaft Challhuayacu in der Provinz Tocache und widmete mich der Landwirtschaft. Mein jüngster Sohn war zwei Monate alt. Wie jede Mutter erträumte und ersehnte ich eine bessere Zukunft für meine Kinder. Ich hatte nie vor, mich von ihnen zu trennen, doch dies trat am 18. Mai 1996 gegen meine Willen ein, als ich und vier Nachbarinnen dabei waren, ein gemeinsames Essen zuzubereiten. Alle waren jung. Ich erinnere mich an Teresa, die fünfzehn Jahre alt war, und die 17-jährige Pilar. Rosa, Pilar und ich hatten unsere kleinen Kinder bei uns. Bei mir war nur das Baby, der andere von zwei Jahren befand sich bei einem Verwandten. Niemand ahnte, was uns passieren würde.

"... ich verhielt mich ruhig, hielt meinen Sohn fest in den Armen, ich glaubte, es wäre das letzte Mal, ich verabschiedete mich von ihm und bereitete mich darauf vor zu sterben ..."

Während die Hyänen lauerten und sich darauf vorbereiteten, uns anzugreifen, gefror unser Lächeln wie der Schnee in den Anden, als wir uns den kriminellen Kommandos der peruanischen Armee gegenübersahen. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet und schossen sofort auf uns. Es war eine Sache von Sekunden. Ich dachte an mein Baby und sagte mir: "Wenn ich sterbe, dann sterbe ich mit ihm, und wenn ich am Leben bleibe, werde ich mit ihm am Leben bleiben".

Ich lief zu ihm. Mein Sohn schrie verzweifelt in seiner Hängematte. Ich nahm ihn in die Arme und verschwand durch die Hintertür. Drei meiner Freundinnen folgten mir, doch Flor lief durch die Vordertür. Eine Kugel durchschlug ihren Körper. Ich hörte ihre letzten Schreie, sie rief: "Helft mir bitte, es tut so weh". Und dabei wand sie sich auf dem Boden. Wir konnten ihr nicht helfen, denn sonst wäre uns das gleiche passiert. Die Bäume wiegten sich wie in Trauer, es schien, als würden sie sie hören. Meine Freundin verblutete, sie flehte um Hilfe. Ich war eine Böschung hinunter gesprungen und rutschte bis zu deren Fuß. Ich wollte mich verstecken, doch ich konnte nicht, weil mein Baby die ganze Zeit weinte, denn es hatte sich gestoßen. Ich versuchte, es zu beruhigen, doch vergeblich. Ich blickte nach oben, und ich weiß nicht, wie viele Waffen auf mich gerichtet waren.

Ich hörte Stimmen, die sagten: "Scheißterroristin, wenn du dich bewegst, blasen wir dir das Gehirn weg". Ich verhielt mich ruhig, umarmte fest meinen Sohn und dachte, dass es das letzte Mal sein könnte. Ich verabschiedete mich von ihm und bereitete mich darauf vor, zu sterben. Ich schloss meine Augen und stand auf in der Erwartung der Schüsse. Da rissen sie mir mit einem Ruck mein Baby aus den Armen, und ich hatte das Gefühl, dass es meine Seele zerreißt, als sie ihn wie ein Paket zum Haus trugen, und über mich ihre Fußtritte hereinbrachen. Doch ich fühlte nichts. Ich wollte nur bei meinem Baby sein. Vier Soldaten schleiften mich zu meinem Haus und sagten: "Warum bist du weggelaufen? Du bist bestimmt eine Terroristin". Ich antwortete: "Ich bin weggelaufen, weil ihr kamt und sofort geschossen habt. Stimmt es etwa nicht, dass ihr vor einigen Monaten im Ort Guincayco drei Bauern ermordet habt, darunter einen siebenjährigen Jungen?" Sie antworteten: "Das waren Terroristen." Vor dem Haus konnte ich meine Freundin Flor sehen, die noch am Leben war. Sie verlangte nach Wasser. Ein Soldat sagte: "Herr Leutnant, die Terroristin stirbt, wir müssen ihr den Gnadenschuss geben." Er antwortete: "Nein! Dieses Miststück soll leiden, bis sie stirbt." Der Leutnant kam auf mich zu, um mich zu verhören. Jede Frage wurde begleitet von einem Fußtritt. Sie fragten mich nach Personen und Orten, die ich nicht kannte. Der Leutnant sagte: "Nun wirst du sie kennen lernen." In dem Moment erfuhr ich die maßlose Grausamkeit dieser Geier. Neben mir auf der einen Seite ein junges, tapferes Leben, das verlosch, und auf der anderen Seite weinte ein neues Leben, das gerade erst entstanden war, auf dem Laub am Boden.

Nichts, weder mein Flehen noch meine Tränen erweichten den Leutnant "Centauro". So nannten sie ihn. Er sagte zu mir: "Du Hündin, wenn du nicht redest, wirst du erst deinen Sohn sterben sehen, und dann kommst du an die Reihe." Ich sagte zu ihm: "Bitte, er hat Hunger, ich will ihm seine Milch geben." Er erwiderte: "Was heißt hier Hunger, verdammt! Gleich drücke ich ihm die Kehle zu, damit er schnell stirbt. Wozu ist der Sohn von Terroristen gut?" Ich zog es vor, nichts zu sagen. Was wusste dieses Kind von Terroristen? Warum quälten sie meinen Sohn? Ein Stoß holte mich in die Wirklichkeit zurück, sie bearbeiteten mich am Boden mit Faustschlägen und Fußtritten. Ich wollte nicht glauben, was mir passierte. Ich wollte zurück in den schützenden Mutterleib, ich wollte an die biblische Geschichte von David und Goliath glauben, in der David Goliath besiegt.

Doch ich kam nicht gegen sie an. Sie wollten, dass ich mich ausziehe. Ein Soldat kam auf mich zu und riss mir die Kleider herunter. Ich zerkratzte ihm das Gesicht. Im gleichen Moment stürzten sich mehrere von ihnen, darunter der Leutnant, auf mich. Mein Widerstand war vergeblich. Als ich auf den Boden stürzte, fesselten sie meine Arme und Beine an einen Baumstamm, zogen mich aus, und verbanden mir danach die Augen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ohnmächtig würde, doch der Wunsch, meinen Sohn zu retten, gewann die Oberhand und ließ mich wieder zu mir kommen.

Ich hörte wie der Leutnant sagte: "Nutzt das aus, so viel ihr könnt, so oft findet man keine Terroristinnen." Und so wurde ich ein über das andere Mal von mehreren Soldaten der "Kommandos" vergewaltigt.

Ich wurde das Opfer derer, die sich "Verteidiger der Ordnung und der Menschenrechte" nennen lassen, doch offen die allgemein anerkannten Grundrechte verletzen. Die Mutterschaft und die Kindheit haben ein Recht auf besonderen Schutz. Wie haben sie das eingehalten? Wie immer tritt der Staat seine eigenen verfassungsmäßigen Rechte mit Füßen. "Ihr seid auch aus einem Mutterleib gekommen. Warum tut ihr mir das an?" "Was für eine Mutter, verflucht", antwortete der Soldat, und sie vergewaltigten mich wieder.

Bald wurde es dunkel, und sie schleiften mich mit sich und sagten mir, ich solle ihnen den Weg zeigen. Ich konnte nicht stehen. Ich sah nichts, und meine Hände und Füße waren gefesselt. Mein Baby wurde von einem Soldaten getragen. Ich hörte sein Weinen und sagte mir: "Mein Sohn ist noch am Leben."

Als wir etwa 100 Meter von meinem Haus entfernt waren, erinnerte ein Soldat den Leutnant "Centauro" an meine Freundin Flor und sagte zu ihm: "Die Terroristin lebt noch, wir müssen sie mitnehmen, um ihre Wunden zu behandeln." Der Leutnant antwortete: "Nein! Geh hin und probier deine Schießkünste an ihr aus!" Der Soldat antwortete: "Ich nicht, Herr Leutnant." Der Leutnant sagte zu ihm: "Hast du etwa Mitleid mit einer Terroristin, verflucht! Du bist ein Weichling." Und es war er selbst, der zu den Soldaten sagte: "Ich werde dieser Terroristin ihren Passierschein geben, und niemand hat etwas gesehen." Er zielte auf ihren Kopf und schoss.

Dazu befahl er, dass sie mir die Binde abnehmen, die mein Gesicht bedeckte, damit ich es mit ansehe. Später wurden wir mit einem Strick an einem Baum festgebunden. In dem Moment warf ein Soldat mir das Baby zu. Ich strengte mich an, um es mit meinen Körper meiner Brust zu nähern, und stillte es.

Gegen Mitternacht spürte ich, dass sie mich losbanden. Meine Freundinnen brachten sie an verschiedene andere Stellen in der Nähe. Ich war die letzte. Ich erhob mich langsam und versuchte, keinen Lärm zu machen, um das Baby nicht aufzuwecken. Als ob es die Notwendigkeit spürte, wachte es bis zum nächsten Tag nicht auf. Ich fragte sie, wohin sie mich brachten. Ich dachte, sie würden mich töten. Sie antworteten: "Frag nicht!"

Ich lief weiter, bis ich plötzlich mehrere Stimmen hörte. Ich dachte wieder: Sie werden uns vergewaltigen. Und wirklich, so war es. Entsetzt schrie ich: "Ihr seid auch aus einem Mutterleib gekommen. Warum tut ihr mir das an?" "Was für eine Mutter, verflucht", antwortete der Soldat, und erneut vergewaltigten mich zwei von ihnen. Ich stellte mich tot. Es war so schrecklich und zum Verzweifeln, dass ich mich nicht verteidigen konnte. Einer der Soldat sagte: "Ich glaube, die hier wird sterben, bringt sie besser zu ihrem Kind und holt die andere." Ich hörte, dass sie Teresa brachten, eine meine Freundinnen.

Der Leutnant sagte: "Alle rutschen über sie hinweg". Der Soldat antwortete: "Ich glaube sie wird nicht durchhalten." Der Leutnant sagte: "Das ist egal, so lange sie eben durchhält und da lasst ihr sie. Wenn sie stirbt, kann sie ihrer Genossin Gesellschaft leisten." Er bezog sich auf meine Freundin, die der Leutnant am Tag zuvor ermordet hatte.

Sowie es hell wurde, banden sie mir die Füße los und brachten uns zum Militärstützpunkt von Challhuayacu. Bevor wir aufbrachen, sagte ein Soldat: "Die Terroristin liegt am Weg, dort werden sie sie finden." Er bezog sich auf die Leiche von Flor. Der Leutnant befahl, sie in den Silo zu stecken und ihre Leiche anzuzünden. Und so warfen sie sie mit dem Kopf voran in den Silo, man sah ihre Beine von den Knien an abwärts. Dann zündeten sie das Haus an, nachdem sie alles von Wert gestohlen hatten. Ich bat darum, ein Laken holen zu dürfen, um mein Baby an der Brust tragen zu können. Danach fesselten sie mir die Hände auf den Rücken und führten mich wie ein Tier, ähnlich wie zu Zeiten der Sklaven, weg.

Wir marschierten fast den ganzen Tag, durchquerten Schluchten, stiegen über Baumstämme, und ich roch zum letzten Male den reinen Duft der Natur. Ich verabschiedete mich von jener fruchtbaren Erde, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Als wir am Militärstützpunkt von Challhuayacu ankamen, achteten sie darauf, dass die Leute uns nicht hineingehen sahen. Sie sagten zu uns, dass der "Brunnen" besetzt sei. Dieser "Brunnen" war ein Loch in der Erde, in das sie die Festgenommenen steckten und ihnen hin und wieder von oben Essen zuwarfen. Der Leutnant sagte zu mir: "Wir werden dich nicht in den Brunnen stecken, denn er ist besetzt, ihr werdet die Ehre haben, im Vorratslager zu schlafen."

Ich legte mich auf einen Sack Reis. Um Mitternacht hörte ich die Schreie eines Mannes. Ich blickte durch das Fenstergitter und sah eine Person, die sie in eine Wanne tauchten, während sie sie mit einem Gegenstand vergewaltigten und sie anschrieen: "Rede, verflucht!" Ich hatte Angst. Ich dachte sie würden uns auch holen. Am nächsten Tag sagte mir der Leutnant, dass ich niemandem erzählen sollte, was uns passiert sei, und sie unsere Wunden behandeln lassen würden. Ich konnte nicht gehen, ich humpelte. Und er sagte weiter zu mir: "Wenn du etwas sagst, werden wir es erfahren, und wenn mir danach ist, werde ich sofort alle vier töten und niemand wird es wissen, denn niemand hat euch hereinkommen sehen." Nach drei Tagen brachten sie uns zur Militärbasis in Tocache. Dort trennten sie uns. Meine Freundinnen Pilar und Teresa habe ich nicht wieder gesehen. Ich weiß nicht, was mit ihnen geschehen ist. Bevor sie uns in den Wagen einsteigen ließen, fesselten sie uns. Ich bat darum, dass sie mir nur eine Hand fesseln sollten, damit ich mit der anderen meinen Sohn tragen könnte. Sie antworteten: "Nein, du wirst fliehen."

Ich wusste nicht, wie ich meinen Sohn halten sollte. Sie hoben mich hoch und reichten das Baby hinterher. Sie legten es auf den Boden des Wagens. Es begann zu weinen, denn jedes Mal, wenn der Wagen über ein Schlagloch fuhr, erhielt es einen Stoß am Kopf. Ich versuchte, es mit meinen Fuß vor den Stößen zu schützen.

"... er hob das Baby an den Armen hoch und zielte mit der Pistole auf seinen Kopf: 'Das ist ein Kind von Terroristen. Wozu ist dieses Miststück gut' ..."

Als wir ankamen, übergaben sie mich einem Oberst. Der sagte zu mir: "Du musst mit uns zusammenarbeiten, damit dir nichts passiert." Ich war dort 15 Tage lang. Während der Verhöre wurde mir damit gedroht, dass sie meinen Sohn verschwinden lassen. Sie nahmen ihn mir weg, wann sie wollten, und brachten ihn zu weinen.

Eines Nachts kam ein Oberst, der das Baby an den Armen hochhob, und als es weinte, mit seiner Pistole auf es zielte und sagte: "Das ist ein Kind von Terroristen. Wozu ist dieses Miststück gut?" Bei einer andern Gelegenheit stellten sie einen kleinen Apparat auf den Tisch, aus dem Stromkabel heraushingen. Ich wusste nicht, wozu er diente, bis sie plötzlich meine Arme nach hinten rissen und meine Bluse hochhoben. Sie versetzten mir Stromstöße in die Brüste. Was für ein schrecklicher Schmerz! Eines Nachts holten sie mich zusammen mit meinen Sohn, dieses Mal um uns unter Wasser zu tauchen. Auch meinen Sohn tauchten sie ins Wasser. Mir ging es sehr schlecht. Ich konnte nicht essen. Das Essen der Soldaten war mit Mäusekot verschmutzt. Bei einer Gelegenheit brachten sie mich zu einem Tisch mit verschiedenen Lebensmitteln darauf und machten ein Foto. Der Offizier sagte zu mir: "Damit wird uns das Rote Kreuz nicht mehr auf die Nerven fallen."

Später kam ein Zivilarzt und untersuchte mich. Nach all der Folter ging es mir gesundheitlich sehr schlecht. Er sagte, dass er mich behandeln werde, denn ich käme woanders hin und er hätte Anordnungen, dass ich dort in gutem Zustand ankäme. Doch als ich sagte, dass er meiner Familie Bescheid sagen sollte, antwortete er mir: "Es tut mir leid, ich kann nicht, denn du weißt, was mir passieren könnte." Mein ganzer Körper war voller Blutergüsse, und ich hatte Wunden an Armen und Beinen, wo sie mich gefesselt hatten. Und so brachten sie Rosa und mich nach Lima. Sie übergaben uns der Antiterrorismuspolizei DINCOTE.

Dort trennten sie uns. Zwei Polizistinnen führten mich in eine Toilette und durchsuchten mich auf entwürdigende Weise. Danach brachten sie mich in eine dunkle und kalte Zelle, wo ich nur die Mäuse hörte und die Flöhe auf der Matratze spürte. Dort war die Folter psychisch. Sie drohten mir, mich nachts herauszuholen, sie brachten mich zum Büro der GEIN. Ich wurde von sechs oder sieben Personen verhört und hatte das Gefühl, dass mir der Kopf platzt. In einer anderen Nacht brachten sie mich an einen dunklen Ort - auf Grund der Geräusche bemerkte ich, dass er an einem Strand am Meer lag - und drohten mir, dass sie mich und meinen Sohn ertränken würden. Und dann kam nach langer Zeit ein Verwandter zusammen mit dem Roten Kreuz zur DINCOTE, nachdem sich meine Familie bei allen Militärstützpunkten in Tocache und Tingo Maria nach mir erkundigt hatte, wo jedoch niemand eine Auskunft gab. Ende August kamen welche von der Armee und sagten, sie seien von der Kommission für Menschenrechte und würden mich befragen. Das war in einem Raum, der kein Büro war. Und so merkte ich, dass sie nichts mit Menschenrechten zu tun hatten, sondern ein Militärtribunal waren, das mich "aburteilen" sollte. Unter Drohungen, üblen Beschimpfungen und ohne Verteidiger wurde ich verhört. Am 5. Tag war ich überrascht, als ich den Richter mit vier vermummten bewaffneten Männern und einer Person in Zivilkleidung sah. Sie sagten mir, dass das mein Pflichtverteidiger sei. Sie fragten mich: "Möchtest du einen demokratischen Anwalt?" (Anmerkung: Der Begriff demokratischer Anwalt bezieht sich auf die "Vereinigung der demokratischen Anwälte", deren Mitglieder viele der des Terrorismus Beschuldigten verteidigten, bis sie in den 90er Jahren unter der Regierung Fujimori einer verstärkten Verfolgung ausgesetzt waren und teilweise selber verhaftet und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.) "Nein", antwortete ich ihm. Dann ging er dazu über, einen Bericht vorzulesen, in dem ich einer Reihe von Dingen beschuldigt wurde und der sich auf die Aussage von Zeugen und Beweise stützte, die sie selbst erfunden hatten. Unter anderem behaupteten sie, dass ich bei einer bewaffneten Auseinandersetzung festgenommen worden sei und dass der Vater meiner Kinder eine Person sei, die von der Polizei gesucht wird. Aus diesem Grund wurde das Gesetz in seiner ganzen Strenge angewandt, und ich wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Das ist politischer Revanchismus und Verfolgung. Wegen des simplen Verdachts, einer "subversiven Bewegung" anzugehören, wirst du ermordet, gefoltert, vergewaltigt und für den Rest des Lebens eingesperrt. Der Staat hat eine Politik des Genozids angewandt. Das habe ich selbst erlebt. Nachdem der Anwalt das Urteil gehört hatte, sagte er: "Angesichts des Delikts, das meine Mandantin begangen hat, kann ich nichts machen, außer Einspruch einlegen." "Meine Herren, der Prozess ist beendet", sagte der Richter, "nun muss die Angeklagte das Urteil unterschreiben".

Ich wollte nicht unterschreiben. Ich sagte ihm, dass ich mit diesem ungerechten Urteil nicht einverstanden und der ganze Prozess ein Farce sei, denn das Urteil stand von vornherein fest. Darauf wurde der Richter wütend. Er rief zwei seiner Männer, und sie nahmen mir das Baby weg. Es gab ein Handgemenge. Ich hatte Angst, es loszulassen, denn es begann zu weinen. Darum unterschrieb ich. Der Pflichtverteidiger sagte nichts. (Jetzt, wo der Prozess neu aufgerollt wird, habe ich erfahren, dass der damalige Anwalt ein Hauptmann der Armee war.)

Ich erhebe öffentlich Anklage gegen die Folter und die Vergewaltigungen, denen ich und mein Sohn seit meiner ungerechtfertigten Verhaftung ausgesetzt waren. Die Streitkräfte gingen mit Heimtücke und Bösartigkeit vor. Ich bin eines von vielen Tausenden von Opfern, die es in Peru gab, und das kann und darf nicht ungestraft bleiben. In meinem Verfahren habe ich keinen ordentlichen Prozess gehabt. Man hat mir das Recht auf Verteidigung verweigert, ich wurde nicht mit den Personen, die sie als Zeugen genannt hatten, konfrontiert. Das kann keine Grundlage sein, um mich zu lebenslänglicher Haft verurteilen. Wen hat der Pflichtverteidiger verteidigt? Die Folterer! Er befürwortete die verfassungswidrigen Antiterrorismusgesetze, gegen die ich protestiere. Und weil ich in einer Gegend gelebt habe, die sich im Ausnahmezustand befand, möchte ich auch die Morde öffentlich anklagen, die ich im Jahr 1987 unter Alan Garcia gesehen habe, der die systematische Politik des Massenmordes fortsetzte, obwohl er gesagt hatte, dass er "die Barbarei nicht mit der Barbarei bekämpfen" werde.

Im Februar des Jahres 1987 überfiel die Armee mit vier Hubschraubern die Ortschaft Sion im Departement San Martin. Sie schossen aus der Luft und vom Boden aus, trieben die Bewohner mit Schlägen aus ihren Häusern und versammelten sie auf dem Dorfplatz. Dann trennten sie die Männer von den Frauen und Kindern. Die Männer erhielten Schläge mit Gewehrkolben, bis sie alle am Boden lagen. Sie ließen sie an sich vorbeiziehen und schossen vor den Augen ihrer Frauen auf sie. Sie fragten: "Wo ist das Lager der Terroristen?" Und: "Wer sind sie?" Nachdem sie ihnen gedroht hatten, fragten sie nach einer Frau Zadit Garcia. Der Hauptmann hatte eine Namensliste, nach der er die angeblichen "Terroristen" aussonderte. Ein vermummter Mann identifizierte sie. Es waren 15 Personen, die sie aussonderten, und sie kehrten nie wieder nach Hause zurück. Ihre Angehörigen erkundigten sich nach ihnen, und ihnen wurde gesagt, dass man sie nach Tarapoto gebracht hätte. Später wurden sie an einem Hindernis im Fluss Huallaga tot aufgefunden. Es konnte ein junger Mann von 18 Jahren namens Hamilton identifiziert werden und ein anderer, den sie "Payaso" nannten, und drei weitere junge Männer, an deren Namen ich mich nicht erinnere.

Diese Vorfälle erinnern daran, wie die Nazis die Juden und diejenigen, die sie als deren Helfer betrachteten, abholten, um sie zu erschießen.

Desgleichen. wurde im Jahre 1988 vor den Augen aller Leute eine 21-jährige Frau namens Elena im Militärstützpunkt von Juanjui festgenommen. Eine Verwandte sprach vor, um nach ihrem Verbleib zu fragen, und da sie nicht locker ließ, ließ man sie in den Militärstützpunkt hinein, wo sie sie mit Spuren von Schlägen und Misshandlungen in einem Brunnen eingesperrt fand. Als ein Verwandter in der folgenden Woche erneut nachfragte, war sie nicht mehr dort. Man sagte ihm, sie wäre nach Tarapoto überführt worden. Danach wurde ihre Leiche in der Nähe des Militärstützpunktes gefunden. Im gleichen Jahr verhaftete die Polizei in Juanjui Zadit Garcia, nachdem sie vor Gericht gestellt und für unschuldig befunden worden war, und ermordete sie in der gleichen Nacht im Hafen Amberes in Juanjui, während eine andere Person, die nach Tarapoto reisen wollte, verletzt wurde. Dieser Mord wurde von der Armee begangen. Sie ließen ihre Leiche fast einen halben Tag lang liegen und hinderten ihre Verwandten daran, sie zu bergen.

In der Polizeistation Armayari am Fluss Huallaga wurde ein Herr Saldaņa ermordet, als er zusammen mit seinem Bruder und seinem Enkel beim Fischen war. Dieser Herr lebte in Sion und war in Armayari zu Besuch. Im gleichen Jahr verhafteten Soldaten während eines Festes in der Provinz Tocache zwei Personen, eine davon war der Besitzer des Restaurants "Caimbra". Seine Ehefrau suchte ihn überall, und niemand gab ihr Auskunft. Er ist bis heute verschwunden.

Des Weiteren wurden die Brüder Melciades und Nanazos del Aguila verhaftet und verschwanden. In der Ansiedlung Santa Rosa de Mishollo in der Provinz Tocache tauchte im Jahre 1991 eine Patrouille unter der Führung eines Hauptmanns auf, der einen Schlüsselanhänger aus menschlichen Ohren hatte. Er sagte, dass diese Ohren von Terroristen seien.

Die Soldaten brachten die gesamte Bevölkerung in die Schule, die Frauen wurden vergewaltigt und geschlagen und ihnen wurde gedroht, dass man ihnen ebenfalls die Ohren abschneiden werde, um daraus Schlüsselanhänger zu machen. Ein junger Mann mit Namen Pedro trat mutig vor, um zu protestieren. Die Antwort war ein Schuss in den Kopf, durch den er sofort starb. Später behaupteten sie, er sei ein Terrorist gewesen. In der Ortschaft Cachiyacu in der Provinz Tocache wurde ein ganzes Dorf niedergebrannt, weil es angeblich die Terroristen unterstützte, und den Einwohnern wurde verboten, dorthin zurückzukehren, da sie in dem Fall als Terroristen betrachtet würden. Eine alte Frau ging in das Dorf zurück, um dort zu leben. Sie wurde erst vergewaltigt und dann ermordet. Das ging auf das Konto einer Patrouille der Armee vom Militärstützpunkt von Puerto Pizana am Fluss Huallaga. Anfang 1994 wurde in den Ortschaften Venenillo, Muyuna und anderen eine Militäroperation namens "Aries" durchgeführt. Sie richteten ein schreckliches Blutbad an, indem sie aus Hubschraubern und vom Boden aus Bomben warfen und die Dörfer vollkommen zerstörten und auslöschten, wobei mehr als 100 Bauern starben.

Der damalige Bürgermeister von Aucayacu erhob über einen lokalen Radiosender öffentlich Anklage und informierte über die Bombardierung durch die Armee, woraufhin die damalige oberste Staatsanwältin der Republik, Blanca Nelida Colan sagte, dass sie zusammen mit Menschenrechtsorganisationen die Vorfälle untersuchen werde. Später behauptete sie, dass es keine Bombardierung gegeben habe, sondern nur eine Razzia gegen "Terroristen".

Wer ist demnach für die Toten verantwortlich, die in der Ortschaft und ihrer Umgebung verstreut waren? Woher kamen die Reste von Geschossen des Typs Cruise Missile, die mehr als ein Meter groß waren und überall auf der Straße lagen? Warum wurde die Vegetation rund um das Dorf niedergebrannt, sodass dort mehrere Jahre lang Ödland war? Im selben Jahr wurde ein Bauer mit Namen Elias in seinem Haus im Dorf Yahuarache von der Armee ermordet. Seine Leiche wurde von Kindern gefunden, die in der Nähe spielten. Ebenso wurde in der Ortschaft Maná Hermoso in der Provinz Tocache ein anderer Bauer auf dem Feld ermordet. Es wurde gesagt, sein Bruder sei ein Terrorist. Im Jahre 1995 wurden in der Ortschaft Guincaycu in der Provinz Tocache ebenfalls drei Bauern auf ihrem Feld ermordet, darunter ein Kind von sieben Jahren. Der Vater der Opfer flehte weinend um Gerechtigkeit.

Ich bin eine von vielen Peruanern und Peruanerinnen, die Augenzeugin von entsetzlichen Verbrechen wurde, welche heute im Dunkeln liegen, überdeckt von der alles überwuchernden Vegetation unseres Urwalds und der Tiefe des Flusses Huallaga, einem riesigen Massengrab. Beide sind stumme Zeugen vom Verschwinden und der Ermordung Tausender von Personen, die die Armee unter Einsatz ihrer Stiefel, des Gesetzes und ihrer Gewehre begangen hat, der fortdauernden Verletzung der Grundrechte des Menschen. Dies hat in mir tiefe Wunden und Erschütterungen hinterlassen. Vielleicht halten Einige dies für falsche Behauptungen, doch sie sind wahr. Wenn ich Filme über den Zweiten Weltkrieg sehe, werde ich an die Szenen erinnert, die ich während meiner Haft erlebt habe. Ich hoffe, dass all dies nicht straffrei bleibt und Gerechtigkeit geschaffen wird.

Auf Wunsch der Verfasserin wurden die Namen der vier Freundinnen, mit denen zusammen sie verhaftet wurde, geändert.

Nachdem sie mit 23 Jahren zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, befindet sie sich seit zehn Jahren im Gefängnis und leidet unter schweren gesundheitlichen Schäden, die eine Folge der Misshandlungen sind, denen sie ausgesetzt war.



Alberto Fujimori Fujimori: "Meine Regierung wird keine einzige Verletzung der Menschenrechte von Seiten Staates dulden, denn ich kenne sehr wohl die Waffen der Demokratie ..."

Presseerklärung vom November 1990. Er deckte die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und setzte sie fort.



Quelle: AFADEVIG - Asociación de Familiares de Presos Políticos, Desaparecidos y Víctimas de Genocidio (www.afadevig.org) (Vereinigung der Angehörigen der politischen Gefangenen, Verschwundenen und Opfern der Vernichtungspolitik des peruanischen Staates)

Übersetzung aus dem Spanischen



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