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Über die schändlichen Bedingungen der Isolation, denen die politischen Gefangenen ausgesetzt sind

Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen!

August 2005


Nach dem Massenmord vom Mai 1992 im Gefängnis Canto Grande wurden wir einer totalen Isolation ausgesetzt, und eines der vielen Dinge, die man uns verweigerte, war, Briefe zu schreiben und zu empfangen. Über Jahre hinweg wurde uns verboten, Papier und Bleistift oder gar Kugelschreiber zu besitzen, was Anlass ständiger Beschwerden und Reklamationen unsererseits und von Seiten internationaler Organisationen war.

Eines Morgens im Jahr 1996 trat eine der Angestellten, die im Büro des Gefängnisses arbeitete, in unseren Gang (in jedem Gang gibt es acht Zellen in einer Reihe) und rief mit lauter Stimme: "Ihr werdet an eure Familien schreiben, wir werden euch Papier und Bleistift geben". Und sie ging den Gang entlang und verteilte sie, während sie gleichzeitig Anweisungen gab. Schließlich kam sie an meiner Zelle an: "Hier habt ihr Papier und Bleistift, ich komme in einer Stunde zum Einsammeln".

Wie auch die Genossinnen weiter vorn im Gang protestierten wir: "Aber Seņorita, nur einen einzigen Bleistift? Wir sind drei in der Zelle, die Zeit zum Schreiben ist zu kurz und noch dazu mit einem Bleistift, wir haben noch nicht einmal eine Uhr, um die Zeit einzuteilen" (denn Uhren waren auch verboten). Sie entgegnete sofort ärgerlich: "Beschwert euch nicht, das ist ein Gefallen, den wir euch tun. Ihr habt keine Rechte. Und beeilt euch, die Zeit läuft".

So ist das. Sie geben uns etwas und giften uns dabei an, als wäre es eine milde Gabe. Wie empörend! Doch man darf sich nicht lähmen lassen, und wir ließen uns nicht lähmen und machten uns daran, schnell zu schreiben, und entsprechend unserer Praxis und unseres Arbeitsstils das Problem so gut wie möglich zu lösen, nämlich kollektiv, indem wir uns gegenseitig halfen: "Schreib du zuerst, ich habe schon ein bisschen geschrieben, nun du ...".

So begann diese Etappe, die uns half, die Isolation zu durchbrechen und uns ermöglichte, uns hin und wieder, einmal im Monat oder alle zwei Monate, je nachdem, was beschlossen wurde, und entsprechend der Laune, die sie hatten, und hauptsächlich aufgrund unserer ständigen Reklamationen per Brief mit unseren Angehörigen in Verbindung zu setzen. Und die Praxis der Briefe wurde zu einer regelmäßigen Einrichtung.

Die Erinnerung, die ich an diese Zeit habe, ist nicht sehr angenehm, das hastige Schreiben inmitten der Ermahnungen der Aufseherrinnen. Doch das Bedürfnis nach Kommunikation war dringender als das, denn die Besuche fanden weiterhin nur einmal im Monat für eine halbe Stunde in Besucherkabinen mit Trennscheiben statt. Die Zeit war viel zu kurz, um einer Tochter, einem Sohn, einer Mutter, einem Vater, einem Bruder etwas vollständig zu erzählen. Es war wie ein Marathon: "Sprich du zuerst, Töchterchen" ..." nein, Mama, erzähl mir, wie es dir gesundheitlich geht ..." Die Zeit zerrann, und wir sprachen schnell und immer mit der Furcht, dass die Aufseherin in jedem Moment sagen würde: Du oder du, deine Zeit ist zu Ende.

Einen Brief zu schreiben, war so ähnlich. 20 oder 30 Minuten für einen Brief. Ich in meinem Fall habe vier Kinder, das heißt, ich musste einen Brief für alle vier schreiben und schrieb ihnen: "Passt auf euch auf, seid stark, achtet auf eure Gesundheit. Ich liebe euch sehr". Doch ich habe auch Geschwister. Das nächste Mal teilte ich die Seite und schrieb ein bisschen für jeden. Ich musste ihnen mit dem geschriebenen Wort Mut machen, ihnen Ratschläge über die Kinder, die Arbeit, die Schule, über das Leben geben und Ideen austauschen.

Während ich diesen Bericht schreibe, zieht sich mir das Herz zusammen. Es gab ganz besondere Gelegenheiten im Leben meiner Kinder, in denen es mein Wunsch gewesen wäre, ihnen einige Zeilen, ein selbst gemaltes Bild oder ein Gedicht zu schicken. Doch was wurde uns ständig gesagt? "Kein Bleistift, kein Papier, keine Farben, kein Kugelschreiber. All das ist euch verboten, wir halten uns an das Gesetz, ihr seid Terroristen ...", usw. usw. Wenn der Tag der Briefe kam, schrieb ich an die Kinder, Geschwister, Nichten und Neffen in einer winzigen Schrift, damit alles auf das Stückchen Papier passte. Ich versuchte, die Buchstaben zu malen, damit sie lesbar waren und schrieb ihnen: "Liebe Kinder, seid stark und optimistisch. Alles verändert sich, doch man muss kämpfen, denn es fällt nicht vom Himmel. Sie sprechen Verbote aus, schränken uns ein, verweigern uns die elementarsten Rechte, doch unsere Bedingungen müssen sich verbessern und wir müssen unsere Rechte wieder erobern". Wie viele Male "schrieb" ich ihnen nur in Gedanken in den endlosen schlaflosen Nächten!

Zurück zu den Mitteln, die sie uns für die Briefe gaben: Das Schreiben mit einem Bleistift auf Zeitungspapier war eine Qual und gleichzeitig ein Bravourstück. Und für unsere geliebte Familie? Eine Mühsal, die Zeilen zu entziffern, die mit einem Bleistift von schlechter Qualität auf einem schrecklichen Papier geschrieben waren, bereits halb verwischt, während es wegen der Zensur aufgrund von "Sicherheitsmaßnahmen", wie sie sagten, von einer Hand in die andere ging. Wir alle beschwerten uns: "Wieder mit Bleistift? Ein mit Bleistift geschriebener Brief ist eine Respektlosigkeit, wir brauchen mehr Papier, und es muss weiß sein, und mehr Zeit".

Es kam die überhebliche Antwort: "Man gibt euch etwas und ihr beschwert euch auch noch. Ihr habt keinerlei Rechte. Mir braucht ihr nichts zusagen, ich erhalte Befehle. Ändert eure Art zu denken". Und wir antworteten: "Die Gedanken- und Meinungsfreiheit steht in der Verfassung, ihr verstoßt gegen eure eigenen Gesetze, ihr wollt uns auf das Niveau von Untermenschen degradieren".

Zusätzlich zu diesen Rechtsverstößen erlitten wir die Verletzung des Briefgeheimnisses, das in der Verfassung festgelegt ist. Wohin gingen unsere Briefe? Nach vielen Nachfragen erfuhren wir, dass unsere Briefe zur Antiterrorismuspolizei DINCOTE gelangten, wie uns eine Genossin erzählte, die von der DINCOTE hergebracht wurde. Dort lasen sie Ausschnitte aus den Briefen der Gefangenen der unterschiedlichen Gefängnisse vor. Und die Beamten selbst sagten, dass einige Briefe zur DINCOTE geschickt wurden und nicht zurückkamen.

Was suchten sie? Was fanden sie? Nur Schilderungen von Aktivitäten, die wir durchführten, und Hinweise auf familiäre Angelegenheiten. Auf diese Art waren wir Opfer einer weiteren Rechtsverletzung. Gelegentlich radierten sie einige Teile aus oder machten sie unleserlich, nur um uns zu ärgern oder uns spüren zu lassen, dass wir in ihrer Hand waren. Daneben verzögerten sie die Durchsicht der Briefe über die Maßen, und verhinderten, dass sie rechtzeitig ihren Empfänger erreichten. Manchmal gingen unsere Briefe ganz verloren.

Eine andere Gelegenheit, bei der sie ihre repressiven Maßnahmen anwandten, war bei den Durchsuchungen. Wenn sie Kugelschreiberminen fanden, wurden wir bestraft, was bedeuten konnte, dass wir mehrere Tage lang keinen Hofgang erhielten. Für die Behörden hatten wir keine Rechte, und folglich war der Besitz eines Kugelschreibers ein Vergehen, das bestraft werden musste.

All diese Beschränkungen, die uns auferlegt wurden, um zu verhindern, dass wir mit unserer Familie per Brief in Kontakt treten, ist Teil ihrer Politik der Reduzierung der Persönlichkeit, der Isolation und der systematischen und ausgeklügelten Vernichtung. Das Verbot von Papier, Kugelschreiber, Radio, Zeitungen, um auf dem Laufenden zu sein, was in der Welt passiert, von wissenschaftlichen Büchern, Geschichtsbüchern, Literatur, Sprachbüchern, usw.

Es ist ein Ausdruck der Verweigerung der Grundrechte des Menschen, denn der Mensch ist ein Produkt der Gesellschaft, er ist ein zutiefst soziales Wesen und kann nicht außerhalb der Gesellschaft leben, denn dadurch wird seine soziale Fähigkeit zerstört.



Grundsatz 6

Keine Personen, die irgendeiner Form von Haft unterworfen ist, kann der Folter oder einer grausamen, unmenschlichen oder degradierenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt werden.

Grundsätze zum Schutz aller Personen, die irgendeiner Form von Haft unterworfen sind
9. Dezember 1988. Vereinte Nationen



Quelle: AFADEVIG - Asociación de Familiares de Presos Políticos, Desaparecidos y Víctimas de Genocidio (www.afadevig.org) (Vereinigung der Angehörigen der politischen Gefangenen, Verschwundenen und Opfern der Vernichtungspolitik des peruanischen Staates)

Übersetzung aus dem Spanischen



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